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Ashleigh Whiffin – Kuratorin für Insekten

Vom Tatort zum National Museum of Scotland – die inspirierende Reise einer Entomologin. 

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Ashleigh untersucht präparierte Insekten unter dem Stereomikroskop.

Ashleigh untersucht präparierte Insekten unter dem Stereomikroskop.  Bild: © Molly Wilders

Ein unerwarteter Weg zeichnete sich ab 

Das Anschauen von zu vielen CSI-Serien hat Ashleigh sehr geprägt und sie dazu inspiriert, an der Universität von Derby Forensische Wissenschaft zu studieren. Der Besuch von nachgestellten Tatorten, das Sammeln von Beweisen und deren Analyse im Labor machte ihr definitiv Spass, aber was sie wirklich fesselte, war das Studium von Insekten, die auf und in Leichen wachsen! Ihre erste Begegnung mit Aaskäfern in einem Kurs über forensische Entomologie ist ihr besonders in Erinnerung geblieben, denn sie entfachte ihre Leidenschaft für diese faszinierende Insektengruppe.

Ashleigh beim Sammeln von Aaskäfern während ihres Studiums.

Ashleigh beim Sammeln von Aaskäfern während ihres Studiums. Bild: © David Tibble

Ashleigh untersuchte viele Aspekte von Aaskäfern und erforschte seltene Verhaltensweisen wie die elterliche Fürsorge, die bei Insekten ungewöhnlich ist. Aber die Konzentration auf nur eine Insektengruppe war ihr nicht genug – es gab eine ganze Welt der Insektenartenvielfalt, die darauf wartete, erforscht zu werden. Dies veranlasste sie dazu, einen Master in Entomologie an der Harper Adams University zu machen. Im Jahr 2014 kam sie zum National Museum of Scotland, wo sie nun schon seit über 10 Jahren arbeitet. Fragt man Ashleigh, ist die Zeit wie im Flug vergangen!

Schon gewusst?

Ob es sich um ein totes Reh, einen toten Vogel oder menschliche Überreste handelt – Aaskäfer sind nicht wählerisch, wenn es um verwesendes Fleisch geht. In der forensischen Entomologie spielen sie eine Rolle – vielleicht nicht so prominent wie Schmeissfliegen, aber sie liefern dennoch wertvolle Hinweise auf das Postmortem-Intervall (PMI, die Zeit zwischen Todeszeitpunkt und Auffinden) einer Leiche. Da sie sich von den Überresten ernähren, kann der Darminhalt dieser Käfer den Gerichtsmedizinern Aufschluss darüber geben, ob Drogen oder Gifte vorhanden waren. Ausserdem kann das Auffinden bestimmter Aaskäfer in Gebieten, in denen eine bestimmte Art normalerweise nicht vorkommt, darauf hindeuten, dass eine Leiche möglicherweise bewegt wurde. Es gibt eine wachsende Zahl von Beispielen, in denen Käfer Beweise lieferten. Ein Beispiel ist hier zu finden. 

Was ist Ashleighs Aufgabe?

Ashleigh bei einer öffentlichen Führung durch die Sammlung.

Ashleigh bei einer öffentlichen Führung durch die Sammlung. Bild: © National Museums Scotland

Kuratorin am National Museum of Scotland zu sein, ist keine alltägliche Laufbahn, vor allem nicht für jemanden, der mit Insekten arbeitet. Eine von Ashleighs Hauptaufgaben ist die Verwaltung von 2.5 Millionen Insektenexemplaren. Sie sorgt dafür, dass diese ordnungsgemäss geschützt, gut organisiert und zugänglich sind, um dieses Naturarchiv zu bewahren. Aber ihre Aufgabe ist nicht innerhalb der Museumsmauern beschränkt – jedes Jahr nimmt Ashleigh aktiv an Feldforschungen teil und sammelt neue Exemplare, um die Sammlung zu erweitern. Sie hat also eine grosse Vorliebe für Käfer, ob sie nun tot oder lebendig sind! Egal, ob sie von ihr selbst gesammelt oder von Amateur-Naturforschenden gespendet wurden, Ashleigh fügt das neue Exemplar sorgfältig in die Datenbank des Museums ein, wo Millionen von Exemplaren darauf warten, entdeckt zu werden. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ihrer Tätigkeit ist die Öffentlichkeitsarbeit, die sie durch den effektiven Einsatz sozialer Medien, die Organisation öffentlicher Veranstaltungen und die Teilnahme an Lehrtätigkeiten hervorragend meistert. Was ihr an ihrem Job am besten gefällt? Es ist nie langweilig. Besucher aus allen Gesellschaftsschichten – Studentinnen, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Sammlerinnen und Kuratorenkollegen – sorgen für einen ständigen Strom neuer Perspektiven. Für sie ist es eine unglaubliche Bereicherung, Teil dieses lebendigen Austauschs zu sein.

Modernisierung von Museumssammlungen 

QR-Codes sind heute in entomologischen Sammlungen weit verbreitet und ermöglichen es den Kuratoren, die benötigten Informationen schnell abzurufen.

QR-Codes sind heute in entomologischen Sammlungen weit verbreitet und ermöglichen es den Kuratoren, die benötigten Informationen schnell abzurufen. Bild: © Molly Wilders

Eine weitere aufregende Entwicklung ist das Aufkommen von Werkzeugen der künstlichen Intelligenz (KI), die Amateurinnen bei der Identifizierung von Insektenarten helfen. Ashleigh weist jedoch darauf hin, dass dies ein zweischneidiges Schwert ist. Einerseits bietet die KI neugierigen Enthusiasten einen Ausgangspunkt, um etwas über Insekten zu lernen. Andererseits kann sie den falschen Eindruck erwecken, dass die Identifizierung von Insekten einfach ist, was die Wertschätzung für das erforderliche Fachwissen schmälert. Sie betont, dass einige Arten ohne Sezierung nicht genau identifiziert werden können. 

Aber es gibt eine vielversprechende Lösung: DNA.

Ashleigh ist besonders begeistert von molekularen Werkzeugen wie dem DNA-Metabarcoding. Mit dieser Methode können Forschende die DNA mehrerer Arten in einer einzigen Umweltprobe (z. B. Boden oder Wasser) –  genannt Umwelt-DNA (eDNA) – analysieren, um Organismen anhand ihres genetischen Materials zu identifizieren. In der Vergangenheit mussten sich Forschende ausschliesslich auf die Untersuchung der physischen Morphologie von Insektenexemplaren verlassen. Heute fordern viele Labors Proben an, um DNA zu extrahieren, was die Insektenidentifikation revolutioniert hat.

Durch den Aufbau umfassender DNA-Bibliotheken können Forschende mithilfe von eDNA zahlreiche Insektenarten aus Umweltproben identifizieren, ohne die Insekten jemals selbst sehen oder anfassen zu müssen. Und während es für Entomologinnen früher eine Qual war, ganze Exemplare für die DNA-Analyse zu opfern, ermöglichen moderne Techniken die DNA-Extraktion aus einem einzigen Bein, wobei der Rest des Insekts unversehrt bleibt. Wie Ashleigh es ausdrückt, können Kuratoren jetzt mit Insektenexemplaren leben, die nur fünf Beine haben – ohne dass die Integrität der Sammlung darunter leidet!

Empfiehlt Ashleigh bestimmte Apps? 

Die künstliche Intelligenz wird jeden Tag besser, und es wäre eine verpasste Chance, diese Technologie nicht zu nutzen. Im Vereinigten Königreich nutzt Ashleigh aktiv iRecord, wo sie die von der Öffentlichkeit eingereichten Einträge für Totengräber- und Aaskäfer überprüft. Diese Plattform ist unglaublich wertvoll für die Verfolgung der Verbreitung verschiedener Insektenarten im ganzen Land. Da sie nicht alle Exemplare selbst sammeln kann, hilft iRecord ihr, die Populationsdynamik landesweit zu überwachen.

Ausserhalb des Vereinigten Königreichs ist Ashleigh ein Fan von iNaturalist, einer Plattform, auf der die Einsendungen der Nutzerinnen zu bemerkenswerten Entdeckungen geführt haben. Entomologieexperten besuchen diese Apps häufig, um Arten zu entdecken, die an unerwarteten Orten gefunden wurden. Tatsächlich haben diese Plattformen neue Kooperationen zwischen Taxonomen und Citizen Scientists ausgelöst, die zur Entdeckung neuer Arten und sogar zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten geführt haben.

Was ist ihr Lieblingsexemplar? 

Ashleigh fand die Frage nach ihrem Lieblingsexemplar am schwierigsten zu beantworten – es gibt einfach so viele, aus denen man wählen kann! Aber ein Exemplar hat sie besonders hervorgehoben: eine winzige, gerollte, sorgfältig aufgesteckte Mistkugel. Anhand des Sammlers und der Art der verwendeten Nadel kann sie schätzen, wann das Exemplar gesammelt wurde, aber die Identifizierung des verantwortlichen Mistkäfers erfordert eine ganz andere Expertise.

Mysteriöse Mistkugeln, die wie Insektenexemplare in der Sammlung aufgesteckt sind.

Mysteriöse Mistkugel, die wie die Insektenexemplare in der Sammlung aufgesteckt ist. Bild: © Ashleigh Whiffin 

Das Lustigste daran? Sie hat eine ganze Schachtel mit gesammeltem Mist, die auf den ersten Blick wie eine Schachtel Truffes aussieht. Lecker, oder? 

Ausserdem gibt es in der Sammlung sogar einige Exemplare, die Charles Darwin gesammelt hat, wie cool ist das denn! 

Ein paar Worte für junge Insektenliebhaber 

Ashleigh betont, wie wichtig es ist, seiner Leidenschaft zu folgen, egal ob es sich um Steine, Pflanzen oder Insekten handelt. Jedes kleine Ding birgt unzählige Geheimnisse, die darauf warten, entdeckt zu werden. Was ihr am meisten geholfen hat, war der Anschluss an lokale Gruppen, die dieselbe Leidenschaft teilen. Vor allem die älteren Mitglieder verfügen über unschätzbare Kenntnisse und Erfahrungen, die sie gerne an die nächste Generation weitergeben. Diese Weisheit ist unbezahlbar und sollte nicht übersehen werden.

Ashleigh auf Vogelbeobachtung in einem State Park in Virginia, USA.

Ashleigh auf Vogelbeobachtung in einem State Park in Virginia, USA. Bild: © Eric Mueller

Ein weiterer Rat, den sie gibt, ist, Fotos zu machen. Man braucht keine teure Kamera, um die Makrowelt der Insekten zu erkunden – ein einfaches Aufsteckobjektiv für das Smartphone reicht völlig aus.

Während ihre Leidenschaft für Insekten ungebrochen ist, hat Ashleigh in den letzten drei bis vier Jahren auch ein starkes Interesse an Vögeln entwickelt. Sie hat an Vogelbeobachtungsaktionen in Naturparks teilgenommen und dabei eine ganz neue Welt entdeckt, die mit ihrer Liebe für Insekten konkurriert. Natürlich hat sie viele der Fähigkeiten, die sie beim Studium von Insekten erworben hat, nahtlos in dieses neue Hobby übernommen.

Autor:in

1b Ashleigh Whiffin Molly Wilders

Ashleigh Whiffin

National Museums Scotland
20221110 2108 copy

Dr. Kaan Mika

ETH Zurich - The Biocommunication Group

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