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Wer braucht schon Augen in der Unterwelt? – Ein Höhlenkäfer im Rampenlicht

Die tiefen, dunklen Welten der Höhlen beherbergen faszinierende Tiere, die den meisten verborgen bleiben. Lernen Sie Anthroherpon cylindricolle thoracicum kennen, einen Höhlenkäfer, der sich auf aussergewöhnliche und beeindruckende Weise an das Leben unter der Erde angepasst hat.

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Der Höhlenkäfer Anthroherpon cylindricolle thoracicum.

Der Höhlenkäfer Anthroherpon cylindricolle thoracicum. Bild: © Dragiša Savić 

Steckbrief

  • Anthroherpon cylindricolle thoracicum ist ein Höhlenkäfer, der nur aus einigen Höhlen im Romanija-Gebirge in Bosnien und Herzegowina bekannt ist. 
  • Dieser 5.5 mm lange Käfer ist vollständig an unterirdische Lebensräume angepasst und kann nicht oberirdisch überleben. 
  • Aufgrund der Anpassung an das Leben unter der Erde ist die Körperform des Käfers im Vergleich zu oberirdisch lebenden Arten derselben Familie ungewöhnlich. Ausserdem ist er blind und depigmentiert, und er hat sehr lange Beine und Fühler. 
  • Er ist saprophag, das heisst, er ernährt sich von sich zersetzendem Material. 
  • Der Lebenszyklus dieser Käfer ist unbekannt.

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Systematik

Reich
Tiere (Animalia)
Stamm
Gliederfüsser (Arthropoda)
Klasse
Insekten (Insecta)
Ordnung
Käfer (Coleoptera)
Familie
Leiodidae
Gattung
Anthroherpon
Art
Anthroherpon cylindricolle thoracicum

Ein sehr seltenes Insekt 

Die Gattung Anthroherpon gehört zur Familie der Leiodidae und ist mit 26 Arten und 55 Unterarten die artenreichste Gattung der ausschliesslich unterirdisch lebenden Untertribus* Anthroherponina. 

Die Käfer der Gattung Anthroherpon leben ausschliesslich unter der Erde und sind eines der faszinierendsten Beispiele der Natur für die Anpassung an ein unterirdisches Leben. Die Unterart* Anthroherpon cylindricolle thoracicum ist recht selten und kommt nur in einigen wenigen Höhlen vor. Die Käfer leben in einer Welt ohne Licht und haben einzigartige Anpassungen entwickelt, die es ihnen ermöglichen, dort zu überleben und zu gedeihen, wo nur wenige andere Lebewesen dies können.

Ohne Licht benötigt Anthroherpon cylindricolle thoracicum kein Sehvermögen. Anstelle von Augen haben diese blinden Käfer verlängerte Fühler entwickelt, um sich in ihrer pechschwarzen Umgebung zurechtzufinden und Nahrung und potenzielle Partner zu finden. Ihre Körper sind einheitlich blass rötlich-braun, die Farbe von reinem, unpigmentiertem Chitin (der Substanz, aus der die Insektenpanzer bestehen), da Farbe in der Dunkelheit nicht benötigt wird. 

Ihre Ernährung ist ebenso faszinierend wie ihr Lebensraum: Sie sind saprophag, das heisst, sie ernähren sich von sich zersetzendem organischem Material, das an den Höhlenwänden zu finden ist. Ihre Fressgewohnheiten verleihen den Käfern eine wenig glamouröse, aber wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des empfindlichen Ökosystems ihrer unterirdischen Heimat. 

Während viel über ihre körperlichen Merkmale bekannt ist, bleibt der Lebenszyklus von Anthroherpon cylindricolle thoracicum ein Rätsel. Forschende untersuchen sie weiterhin, um zu verstehen, wie sie sich fortpflanzen und entwickeln, fernab von den neugierigen Blicken der Oberflächenwelt.

Anpassungen im Dunkeln 

Die Anpassungen höhlenbewohnender Lebewesen werden unter dem Begriff Troglomorphie zusammengefasst. Bei Anthroherpon cylindricolle gehören zu den troglomorphen Merkmalen – neben dem Fehlen von Augen und Melanin – eine dünne Kutikula*, ein schmaler Thorax*, fehlende Hinterflügel und lange Beine und Fühler. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Zunahme der Gliedmassenlänge mit der Zunahme der Anzahl der Sinnesorgane (kleine Haare, die Riechsinneszellen beherbergen) korreliert. Die Käfer weisen auch eine so genannte Pseudophysogastrie auf, bei der ihr Hinterleib vergrössert ist und aufgrund eines Hohlraums zwischen den Deckflügeln und der dünnen abdominalen Membran geschwollen erscheint – ein Merkmal, das häufig Anlass zu Spekulationen gegeben hat. Die derzeit gängigste Erklärung ist, dass der Käfer in dieser Körperhöhle Fett speichert, um lange Hungerperioden in Höhlen mit sehr wenig Nahrung zu überstehen.

Die gemeinsamen morphologischen Anpassungen der Anthroherpon-Arten (hier: Anthroherpon zariquieyi) an die unterirdische Umgebung: schmaler Thorax, lange Fühler, vergrösserter Hinterleib.

Die gemeinsamen morphologischen Anpassungen der Anthroherpon-Arten (hier: Anthroherpon zariquieyi) an die unterirdische Umgebung: schmaler Thorax, lange Fühler, vergrösserter Hinterleib. Bild: © Bernard van Elegem

Während wir bei höhlenbewohnenden Tieren oft denken, dass sie ausschliesslich in Höhlen leben, bewohnen viele, wie die Anthroherpon-Käfer, auch Netzwerke winziger Spalten und Klüfte, die über die Höhlen selbst hinausreichen. Ihr Lebensraum ist weitaus umfangreicher und erstreckt sich auf ein Netz von Mikrorissen und Spalten, die für den Menschen unzugänglich sind. 

Die Anpassungen und die Lebensweise von Anthroherpon cylindricolle bieten einen Einblick in die Welt der Höhlenbewohner. Diese Käfer erinnern daran, dass selbst in den unzugänglichsten und unwirtlichsten Umgebungen das Leben einen Weg findet, nicht nur zu überleben, sondern zu gedeihen. Durch das Studium dieser bemerkenswerten Insekten gewinnen Forschende wertvolle Erkenntnisse über Evolution, Anpassung und die empfindlichen Ökosysteme, die unter unseren Füssen existieren.

*Glossar

Kutikula: Die harte äussere Schicht des Insektenkörpers, die das Exoskelett bildet. Sie besteht hauptsächlich aus Chitin, einem Polysaccharid. 

Thorax: Der mittlere Teil eines Insekts zwischen dem Kopf und dem Hinterleib, der Brustteil.

Unterart: Der Begriff Unterart beschreibt Populationen einer Art, die sich untereinander vermehren können, aber in der Regel in verschiedenen Gebieten leben und sich in bestimmten Merkmalen unterscheiden. Der wissenschaftliche Name einer Art besteht aus zwei Begriffen: dem Gattungs- und dem Artnamen. Der dritte Begriff in Anthroherpon cylindricolle thoracicum bedeutet, dass es sich um eine Unterart von Anthroherpon cylindricolle handelt. 

Untertribus: Eine Rangstufe in der Systematik der Biologie: Familie – Unterfamilie – Tribus – Untertribus – Gattung.

Quellen

Culver DC. 1982. Cave life: Evolution and Ecology. Harvard University Press, Cambridge. https://archive.org/details/cavelifeevolutio0000culv 

Culver DC et al. 1995. Adaptation and Natural Selection in Caves. Harvard University Press, Cambridge.

Giachino PM & Vailati D 2005b. Nuovi dati sul genere genere Anthroherpon Reitter, 1889 (Coleoptera Cholevidae Leptodirinae). Bollettino del Museo civico di Storia Naturali di Venezia 29: 149–163.

Jeannel R. 1911. Revision des Bathysciinae (Coléoptères, Silphides). Morphologie, distribution géographique, systématique. Librairie Albert Schulz, Paris, 641 p. https://archive.org/details/revisiondesbathy00jean 

Jeannel R. 1914. Coleopterorum catalogus, Silphidae: Subfam. Bathysciinae. Pars 60. Junk, Berlin. 

Jeannel R. 1924. Monographie des Bathysciinae. Archives de Zoologie expérimentale et générale, 63: 1–436.

Njunjić I et al. 2018. Comprehensive evolutionary analysis of the Anthroherpon radiation (Coleoptera, Leiodidae, Leptodirini). PLoS ONE 13(6): e0198367. 10.1371/journal.pone.0198367

Njunjić I et al. 2016. The cave beetle genus Anthroherpon is polyphyletic; molecular phylogenetics and description of Graciliella n. gen. (Leiodidae, Leptodirini). Contributions to Zoology, 85(3):337-359. 10.1163/18759866-08503005

Njunjić I et al. 2015. Two new species of the genus Anthroherpon Reitter, 1889 from northern Montenegro with notes on the “A. ganglbaueri” species group (Coleoptera: Leiodidae: Leptodirini). Zootaxa, 3915 (3):403–412. https://doi.org/10.11646/zootaxa.3915.3.5                                                                                

Autor:in

Iva Njunjic 2

Dr. Iva Njunjić

Taxon Expeditions

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