Radare zur Insektenüberwachung
Der Himmel ist nicht leer – er ist voller Leben mit Millionen von Insekten, die hoch oben fliegen. Nun enthüllt die Radartechnologie ihre verborgenen Bewegungen und ermöglicht uns, Migrationen, Verhaltensweisen und Aktivitätsmuster wie nie zuvor zu verfolgen.

Mobile Kleinradare, wie das oben gezeigte, das auf einer Weide eines Landwirts platziert wurde, helfen Forschenden, den Zustand der Insektenbiodiversität in der Schweiz zu überwachen. Bild: © Felix Liechti
Die verborgene Welt über uns
Wenn man an einem warmen Frühlingstag nach draussen geht und hochblickt, könnte man meinen, dass dort nichts weiter als blauer Himmel ist. Doch das ist ein Irrtum: Hoch über unseren Köpfen fliegen Tausende – manchmal Millionen – von Insekten. Sie bewegen sich Hunderte von Metern in der Luft, wandern zwischen Lebensräumen, suchen nach Paarungspartnern oder migrieren sogar über ganze Kontinente. Obwohl für Menschen schwer zu beobachten, ist der Luftraum für Insekten ein Lebensraum – ebenso wie ein Wald, eine Wiese, ein Bach oder ein See.
Traditionelle Methoden zur Insektenüberwachung stossen an ihre Grenzen
Viele Insektenpopulationen sind in den letzten Jahrzehnten drastisch zurück gegangen –durch Klimawandel, Lebensraumverlust und andere menschliche Einflüsse. Obwohl die Zahl der Insekten und die Biodiversität in einer Krise stecken, war es lange Zeit schwierig, diese Rückgänge genau zu messen – einfach, weil Insekten klein, zahlreich und oft dort und dann aktiv sind, wo wir sie nicht sehen können. Die Überwachung von Insekten in unserer sich rasant verändernden Welt bleibt eine grosse Herausforderung.
Traditionelle Methoden zur Beobachtung von Insekten und zur Bestimmung ihrer Anzahl und Vielfalt – wie Lichtfallen, Netze oder visuelle Beobachtungen – sind mit grossem Aufwand verbunden und liefern nur Momentaufnahmen an bestimmten Orten. Deswegen setzen Entomologen und Entomologinnen zunehmend auf neue Technologien, um Insekten systematisch zu überwachen: Radare!
Radare: Ein leistungsstarkes neues Werkzeug
Radare werden seit Langem in der Meteorologie eingesetzt, um Wettermuster zu verfolgen (z. B. das Niederschlagsradar von MeteoSchweiz). Doch Radare können mehr als das Wetter überwachen – sie erfassen alles, was sich in der Luft befindet, einschliesslich Vögeln und Insekten.
Man könnte meinen, dass Insekten zu klein sind und ihre Bewegungen im Luftraum unbedeutend – doch wenn viele Millionen von ihnen gleichzeitig unterwegs sind, summiert sich ihre Aktivität enorm. Mithilfe von Radartechnologie haben Forschende beispielsweise geschätzt, dass Milliarden von Schwebfliegen zwischen Europa und Grossbritannien migrieren und dabei unzählige Pollenkörner transportieren. Nach ihrer Ankunft in Grossbritannien helfen sie den Landwirten, Schädlinge zu reduzieren, etwa indem sie geschätzte sechs Billionen Blattläuse verzehren (Wotton et al. 2019). Eine Wetterradarstudie in den USA zeigte, dass Eintagsfliegen eine wichtige Rolle beim Transport von Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor spielen (Stepanian et al. 2020).
Ein grosser Vorteil der Radartechnologie ist, dass sie es ermöglicht, Insekten automatisch über grosse Gebiete und lange Zeiträume hinweg zu überwachen, ohne sie fangen zu müssen. Radare können Insekten unter schwierigen Bedingungen beobachten: nachts, hoch in der Luft oder in abgelegenen Regionen. Aufgrund dieser Vorteile sind Radare ein vielversprechendes Werkzeug, um die rasanten Veränderungen unserer Umwelt und deren Auswirkungen auf Insekten zu untersuchen.
Um dies zu erforschen, haben Forschende in der Schweiz eine neue Studie gestartet, bei der Radare die Anzahl der Insekten in der Luft schätzen und untersuchen, wie die Landnutzung – z. B. durch Ackerbau, Weiden oder Städte – ihre Biodiversität beeinflusst (mehr zu diesem Projekt unter https://hirad.science/about/).
Prinzip der Radardetektion von Objekten in der Luft. Radare senden elektromagnetische Wellen in kurzen Pulsen aus. Wenn diese auf ein Objekt treffen – sei es ein Flugzeug, ein Vogel oder ein Insekt – werden sie als Echo reflektiert. Dieses Signal liefert Informationen über Entfernung, Grösse, Geschwindigkeit, Richtung und weitere Eigenschaften des Objekts. Abhängig von Zielsetzung und Anwendungsbereich nutzen verschiedene Radarsysteme unterschiedliche Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums und setzen unterschiedliche Signalverarbeitungstechniken ein. Video: NOAA
Wie Radare Insekten erfassen
Radare funktionieren nach einem relativ einfachen Prinzip: Sie senden elektromagnetische Wellen aus und „lauschen“ auf das Echo (s. Abbildung oben). Wenn diese Wellen auf etwas in der Luft treffen (z. B. Regentropfen, Insekten oder Flugzeuge), werden sie gestreut, und ein Teil der reflektierten Energie kehrt zum “lauschenden” Radar zurück.
Anhand der Zeit, die das Signal benötigt, kann die Position des Objekts bestimmt werden. Zudem können weitere Informationen gewonnen werden, z. B. die Anzahl der fliegenden Insekten, ihre Grösse (z. B. Schmetterlinge vs. Fruchtfliegen), ihre Flughöhe, ihre Geschwindigkeit und manchmal die Frequenz ihres Flügelschlags.
Fliegende Tiere erscheinen auf dem Radar ganz anders als Niederschlag, und Meteorologen entfernen üblicherweise diese störenden Signale aus den Daten, um Wettervorhersagen zu erstellen. Für Aeroökologinnen hingegen sind diese biologischen „Störungen“ die wertvolle Information, und sie verfolgen den gegenteiligen Ansatz, nämlich das Wetter auszublenden und stattdessen die Bewegung von Tieren zu untersuchen.
Viele Menschen denken bei „Radar“ zunächst an ein Wetterradar, doch es gibt viele andere Typen. Beispielsweise unterstützen Radare Flugzeugen bei der sicheren Landung oder Schiffen bei der Navigation. Während einige Aeroökologen Wetterradare zur Quantifizierung und Verfolgung von Insekten nutzen, setzen andere spezialisierte biologische Mobile Kleinradare ein. Jeder Radar-Typ hat unterschiedliche Schwächen und Stärken, die genutzt werden können, um mehr über die Bewegungen von Insekten in diesem Lebensraum zu erfahren, der dem Menschen noch viele Rätsel aufgibt.

Derzeit werden hauptsächlich zwei Typen von Radaren zur Überwachung von Insekten eingesetzt – Wetterradare und spezielle Mobile Kleinradare. Wetterradar Überwacht Gruppen von Tieren innerhalb des erfassten Luftraums und liefert Informationen über eine Insektenwolke oder eine Vogelschar sowie deren durchschnittliche Geschwindigkeit, Orientierung und andere Merkmale. Es kann grosse Gebiete abdecken (Dutzende bis Hunderte von Kilometern Entfernung vom Radar und bis zu 3 km Höhe). Mobile Kleinradar: Ermöglicht detaillierte Beobachtungen einzelner Tiere sowie deren Grösse, Geschwindigkeit etc. Es beobachtet nur einen schmalen Bereich über dem Radar (einige Hundert Meter um das Radar herum) und „sieht“ Insekten in Höhen von bis zu ca. 500 m. Bild: © Kaan Mika, erstellt in https://BioRender.com
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Ein Beispiel von Radardaten: Ein Algorithmus analysiert die erfassten Objekte und klassifiziert sie in verschiedene Gruppen von Tieren, zB Vögel allgemein, Sperlingsvögel (kleinere Vögel) und Insekten. Image: © Swiss Bird Radar Solutions
Obwohl die Nutzung von Radaren zur Insektenüberwachung noch in der Entwicklung steckt, haben Forschende bereits bemerkenswerte Entdeckungen gemacht:
- Quantifizierung von migrierenden Insekten : Jährlich migrieren 3.5 Billionen Insekten über Südengland.
- Schwebfliegen-Migration: 2.6 Milliarden Schwebfliegen mit einer Gesamtbiomasse von 55.5 Tonnen – mehr als die Biomasse migrierender Vögel – überqueren jährlich eine 300 km breite Region
- Grosse Insektenschwärme: Auf Radar sind sie gut sichtbar – ein Schwarm von 45 Millionen Heuschrecken wurde entdeckt, als er durch die Lichter von Las Vegas „festgehalten“ wurde.
- Aktivitätsmuster: Insekten erreichen ihre höchste Dichte zur Mittagszeit und direkt nach Einbruch der Dunkelheit – ein Muster, das sich über grosse Regionen hinweg bestätigt.
- Hochgelegene Wanderflüge: Insekten nutzen Luftströmungen in grossen Höhen für effiziente Wanderungen und erreichen dabei Geschwindigkeiten, die mit denen von Vögeln vergleichbar sind (1, 2).
Wir haben das volle Potenzial der Radartechnologie zur Erforschung der faszinierenden Welt der Insekten noch lange nicht ausgeschöpft. Zukünftige Entwicklungen – etwa der Einsatz von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz zur besseren Identifikation von Arten, die Kombination mit genetischen Analysen und Kamerasystemen oder Citizen-Science-Projekte – versprechen eine Revolution unseres Verständnisses der Insektenbewegung im Luftraum. Der Himmel ist nicht leer – er lebt, und Radar hilft uns, das zu sehen.
Quellen
National Oceanic and Atmospheric Administration 2023. How radar works https://www.noaa.gov/jetstream/doppler/how-radar-works Stand 7.3.2025
Ogier Electronics. How radar Works. https://ogierelectronics.com/technical-articles/how-radar-works/ Stand 7.3.2025
Gao HU et al. Mass seasonal bioflows of high-flying insect migrants. Science 354;6319:1584-1. https://www.science.org/doi/10.1126/science.aah4379
Wotton KR et al. 2019. Mass Seasonal Migrations of Hoverflies Provide Extensive Pollination and Crop Protection Services. Current biology 29;13:2167-2173.e5. https://doi.org/10.1016/j.cub.2019.05.036
Haes B. et al. 2024. Continental-scale patterns in diel flight timing of high-altitude migratory insects. Philosophical Transactions of the Royal Society B 379;1904. https://doi.org/10.1098/rstb.2023.0116
Chapman JW et al. 2008. Wind Selection and Drift Compensation Optimize Migratory Pathways in a High-Flying Moth. Current Biology 18;7:514-518. https://doi.org/10.1016/j.cub.2008.02.080
Chapman JW et al. 2015. Adaptive strategies in nocturnally migrating insects and songbirds: contrasting responses to wind. Journal of animal ecology 85;1. https://doi.org/10.1111/1365-2656.12420
Stepanian et al 2020. Declines in an abundant aquatic insect, the burrowing mayfly, across major North American waterways, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 117;6:2987-2992,https://doi.org/10.1073/pnas.1913598117 (2020).