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Gelbe Biotechnologie

Insekten revolutionieren die Bereiche Ernährung, Medizin und Biotechnologie. Von nachhaltigen Proteinquellen bis hin zu wundheilenden Maden und Antibiotika bieten sie umweltfreundliche Lösungen für globale Herausforderungen.

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Die Larve der Schwarzen Soldatenfliege – ein Insekt mit vielen Anwendungsmöglichkeiten.

Die Larve der Schwarzen Soldatenfliege – ein Insekt mit vielen Anwendungsmöglichkeiten. Bild: © Martin Breu

Die Honigproduktion durch Bienen ist das bekannteste Beispiel für die Rolle von Insekten in der menschlichen Kultur. Insekten werden jedoch seit jeher in viel breiteren Anwendungen genutzt, die unter dem Begriff "gelbe Biotechnologie" zusammengefasst werden. Dazu gehören Medizin, Ernährung, Futtermittel, Landwirtschaft und Umweltlösungen.

Ernährung

In Afrika, Südamerika und Asien sind Insekten eine wichtige Proteinquelle in traditionellen Diäten, während der Rest der Welt länger braucht, sie als Nahrungsmittel zu akzeptieren. Angesichts wachsender Bevölkerungszahlen und zunehmender Umweltprobleme steigt die Anerkennung von Insekten als nachhaltige Lösung für die globale Ernährungsunsicherheit. Zahlreiche Unternehmen entwickeln mittlerweile Insektenprodukte, die auch in Europa vermehrt in den Regalen erscheinen, was auf eine breitere Akzeptanz in zukünftigen Ernährungsgewohnheiten hinweist.

Frittierte Insekten in der Khao San Road in Bangkok, Thailand.

Frittierte Insekten in der Khao San Road in Bangkok, Thailand. Bild: Adobe Stock

Biotechnologie

Insektenzellen haben sich als leistungsstarke Werkzeuge in der Biotechnologie etabliert und bieten erhebliche Vorteile für verschiedene Anwendungen in der Gesundheit, Medizin und Industrie. Zu den am häufigsten verwendeten Insektenzellen gehören Drosophila-S2-Zellen (Fruchtfliegen) und Lepidoptera-Zellen (Schmetterlinge und Motten), die für ihre Fähigkeit bekannt sind, hohe Erträge an Enzymen und Proteinen mit vielfältigen Funktionen zu produzieren.

Die Kultivierung von Insektenzellen begann in den 1960er Jahren mit der Etablierung der ersten kontinuierlich wachsenden Zelllinien aus Lepidoptera-Insekten. Seitdem wurden über 600 Insektenzelllinien entwickelt, die mehr als 100 Arten vertreten, vorwiegend aus Lepidopteren (Motten) und Zweiflüglern (Fliegen und Mücken).

Ein entscheidender Moment in der Insektenbiotechnologie war in den frühen 1980er Jahren die genetische Modifikation von Baculoviren, die es ermöglichte, sie als Vektoren* zur Produktion von Fremdproteinen in Lepidoptera-Zellen einzusetzen. Diese bahnbrechende Technologie wird heute weitgehend in der Impfstoffentwicklung, Gen-Therapie, Biopestizid- und industriellen Enzymproduktion eingesetzt.

Medizin

Wundheilung

Schmeissfliegen (Calliphoridae) werden oft mit der Übertragung von Krankheiten assoziiert, spielen jedoch auch eine überraschende Rolle in der Medizin. Historisch wurden Schmeissfliegenlarven von der Zeit Dschingis Khans bis zum Ersten Weltkrieg zur Behandlung von Wunden, insbesondere bei Soldaten, eingesetzt. Obwohl diese Anwendung unappetitlich klingt, ist sie wissenschaftlich fundiert. Sterile Larven, die unter kontrollierten Laborbedingungen gezüchtet werden, werden benutzt, um das Einbringen schädlicher Krankheitserreger in die Wunde zu verhindern. Diese Larven fördern die Heilung, indem sie antibakterielle Verbindungen produzieren und den pH-Wert des Wundmilieus verändern, was das Wachstum vieler Bakterienarten hemmt. Zudem verzehren sie abgestorbenes Gewebe, während gesundes Gewebe verschont bleibt, wodurch die Wunde effektiv gereinigt wird. Diese Methode wurde zwar weitgehend mit der Einführung von Antibiotika aufgegeben, hat jedoch in den letzten Jahren aufgrund der alarmierenden Zunahme der Antibiotikaresistenz eine Renaissance erfahren.

Larven der Schmeissfliegenart Lucillia sericata in medizinischer Verpackung (links). Das Röhrchen rechts dient als Grössenvergleich.

Larven der Schmeissfliegenart Lucillia sericata in medizinischer Verpackung (links). Das Röhrchen rechts dient als Grössenvergleich. Bild: Wikipedia Commons/Enter, CC Licence

Antibiotikaresistenz

Antibiotikaresistenz ist zu einer globalen medizinischen Krise geworden, wobei die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich mindestens 700 000 Todesfälle durch antibiotikaresistente Bakterien meldet. Da bestehende Behandlungen gegen diese Superbakterien versagen, besteht dringender Bedarf, alternative Ansätze zu erforschen. Insekten, oft übersehen, bergen in dieser Hinsicht enormes Potenzial. Sie fungieren als natürliche chemische Fabriken, beherbergen symbiotische Mikroorganismen und produzieren eine Vielzahl antimikrobieller Verbindungen. Diese Moleküle haben sich über Millionen von Jahren zur Bekämpfung verschiedener Bakterienstämme entwickelt. Der Grossteil dieser bioaktiven Verbindungen bleibt jedoch unerforscht und muss weiter untersucht werden, um ihr Potenzial für die moderne Medizin auszuschöpfen.

Blattschneiderameisen tragen Blattstücke zu ihrem Netz, um Pilze zu züchten.

Blattschneiderameisen tragen Blattstücke zu ihrem Netz, um Pilze zu züchten. Bild: Adobe Stock

Blattschneiderameisen bieten ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Insekten Bakterien nutzen, um Krankheitserreger zu bekämpfen. Diese Ameisen tragen Blätter in ihre Nester, um spezifische Pilze zu züchten, die als lebenswichtige Nahrungsquelle für ihre Larven dienen. Ihre sorgfältig gepflegten Pilzgärten werden jedoch häufig von einem parasitären Pilz namens Escovopsis angegriffen, der ihre Ernte zerstören kann.
Um ihre Nahrung zu schützen, haben die Ameisen eine symbiotische Beziehung mit Bakterien entwickelt, die auf ihren Thoraxen (Rumpf) leben. Diese Bakterien produzieren potente antimikrobielle Verbindungen, die gezielt das Wachstum von Escovopsis unterdrücken und so die Pilzgärten schützen. Im Gegenzug erhalten die Bakterien Nährstoffe, die von speziellen Drüsen auf den Thoraxen der Ameisen abgesondert werden, wodurch eine wechselseitig vorteilhafte Partnerschaft entsteht. Diese komplexe Beziehung zeigt, wie Insekten im Laufe der Evolution biologische Allianzen entwickelt haben, um ökologische Bedrohungen zu bewältigen, und bietet wertvolle Einblicke in nachhaltige Schädlingsbekämpfungsstrategien.

Neben Blattschneiderameisen zeigen auch andere Insekten grosses Potenzial als Quellen für antimikrobielle Produkte. Zum Beispiel produzieren symbiotisch in den Därmen von Termiten lebende Bakterien Verbindungen, die schädliche Mikroben abtöten können, während bestimmte Wespenarten Gift mit antimikrobiellen Peptiden produzieren. Diese Entdeckungen unterstreichen das ungenutzte Potenzial von Insekten als natürliche chemische Fabriken, die einen vielversprechenden Weg bieten, antibiotikaresistente Krankheitserreger und andere medizinische Herausforderungen zu bekämpfen.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie Insekten und ihre biologischen Verbündeten zu innovativen Lösungen in Biotechnologie, Medizin und Nachhaltigkeit beitragen können. Wussten Sie, dass Insekten auch in Kosmetik, nachhaltiger Landwirtschaft, alternativen Viehfuttermitteln und sogar in der ökologischen Restaurierung eingesetzt werden? In diesem Thema werden wir das bemerkenswerte Potenzial von Insekten zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zur Bereitstellung intelligenter, nachhaltiger Lösungen für die Zukunft untersuchen.

*Glossar

Vektoren: In der Biotechnologie verwendete Vehikel, um genetisches Material in Zellen zu übertragen. Modifizierte Viren können als Vektoren dienen, um fremde Gene für Forschung, Therapie oder Proteinproduktion zu übertragen.

Quellen

Smagghe G et al. 2009. Insect cell culture and applications to research and pest management. In Vitro Cell.Dev.Biol.-Animal 45:93–105. https://doi.org/10.1007/s11626-009-9181-x

Pathak A et al. 2019. Resisting Antimicrobial Resistance: Lessons from Fungus Farming Ants. Trends in Ecology & Evolution, Volume 34;11: 974-976. 10.1016/j.tree.2019.08.007

Zimmer C. 2019. These ants use germ-killers and they’re better than ours. The New York Times https://www.nytimes.com/2019/09/26/science/ants-fungus-antibiotic-resistance.html Accessed 30.01.2025

Van Oers MM & Lynn DE 2010. Insect Cell Culture. Cell Biology. https://doi.org/10.1002/9780470015902.a0002574.pub2

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Dr. Kaan Mika

ETH Zurich - The Biocommunication Group

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