Die Chancen von Insektennahrung für Tiere und Menschen: zu schön, um wahr zu sein?
Unabhängig davon, ob man ernährungswissenschaftliche oder ökologische Argumente in Betracht zieht: Das Superfood Insekten wartet mit so spektakulären Stärken auf, dass es unsinnig erscheint, darauf zu verzichten, nur weil es nicht zu unseren landwirtschaftlichen Praktiken und unserer Esskultur gehört. Sind wir vielleicht skeptisch, weil die Möglichkeiten in diesem neuen Bereich zu schön erscheinen, um wahr zu sein?

Insekten dringen in unsere Küche ein, nicht um unser Essen zu verderben, sondern um uns einen wertvollen Mehrwert zu bieten. Bild: © Entomos SA
Insekten auf unserem Teller? Wozu denn das?
Stellen Sie sich nur einmal vor, wie viel Wasser eingespart werden kann, wie sich die Nahrungsmittelproduktivität pro Quadratmeter Bodenfläche verzehnfacht (vertikale Landwirtschaft), wie die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden können, wie Energie eingespart werden kann (Nutzung der von Computerservern erzeugten Wärme), wie die Nahrungsmittelverwertung verbessert werden kann (sogar besser als bei Geflügel) und wie 100% des Insekts gegessen werden können (bei den meisten Arten). Darüber hinaus können wir Insektenexkremente zur natürlichen Düngung des Bodens verwenden, was ein besseres Pflanzenwachstum ermöglicht.
Und das ist noch nicht alles, denn ein Drittel der von uns produzierten Lebensmittel, die scheinbar verschwendet werden, können als Nahrung für Insekten verwendet werden. Mit anderen Worten: Lebensmittelabfälle werden in Superfood verwandelt.
Es müssen keine Wälder abgeholzt, keine landwirtschaftlichen Flächen geopfert oder Futtermittel von der anderen Seite des Planeten herangeschafft werden ... Der perfekte Kreislauf, ein nahezu ideales ökologisches Projekt, das der zerstörerischen Sojaproduktion ein Ende setzen kann.
Auch ernährungstechnisch gibt es hier keinen Mangel an Argumenten: hoher Proteingehalt (einschliesslich neun essenzieller Aminosäuren, hohe Verdaulichkeit), viele Vitamine (einschliesslich B12), Mikronährstoffe. Kurzum: ein Superfood.
Was die Lebensmittelsicherheit betrifft, so wird das Risiko der Übertragung von Zoonoseerregern zumindest bei den von der EU zugelassenen Arten als nicht vorhanden erachtet[i], und es sind keine Fälle bekannt, in denen durch den Verzehr von Insekten Krankheiten oder Parasiten auf den Menschen übertragen wurden (vorausgesetzt, die Insekten wurden unter den gleichen hygienischen Bedingungen wie jedes andere Lebensmittel behandelt). Allergien, die mit Allergien gegen Krustentiere vergleichbar sind, sind jedoch möglich.[ii]
Fakten und Zahlen
Wasserverbrauch:
Die Landwirtschaft verbraucht weltweit etwa 70% des Süsswassers. Für die Produktion von 1 kg Hühnerprotein werden schätzungsweise 34 000 Liter virtuelles Wasser benötigt (einschliesslich des für die Futtermittel- und Getreideproduktion benötigten Wassers), für 1 kg Schweineprotein 57 000 Liter und für 1 kg Rindfleischprotein 112 000 Liter. Schätzungen für Mehlwürmer liegen bei 23 000 Liter pro 1 kg Protein.[iii] Mehlwürmer sind dürreresistenter als Rinder.
Treibhausgasemissionen:
Die Viehzucht ist für 18% der Treibhausgasemissionen (CO2-Äquivalente) verantwortlich, ein höherer Anteil als der Verkehrssektor. Mehlwurmlarven, Grillen und Heuschrecken, die auf die westlichen Märkte gelangt sind, verursachen im Vergleich zu Schweinen und Rindern etwa 100-mal weniger Treibhausgasemissionen pro kg Massezuwachs.[iv]
Nahrungsumwandlung:
Insekten sind sehr effizient bei der Umwandlung von Futter in Protein, wahrscheinlich weil sie als Kaltblüter keine Energie zur Aufrechterhaltung ihrer Körpertemperatur verbrauchen. Grillen benötigen 12-mal weniger Futter als Rinder, viermal weniger Futter als Schafe und halb so viel Futter wie Schweine und Masthühner, um die gleiche Menge an Protein zu produzieren.[iv]
Lebensmittelverschwendung (Food Waste):
Einige Insektenarten sind sehr effizient bei der biologischen Umwandlung organischer Abfälle und könnten zusammen 1.3 Milliarden Tonnen Bioabfall pro Jahr umwandeln.[iv]
Bessere Landnutzung:
Da Insekten vertikal gezüchtet werden können, erfordert ihre Aufzucht einen geringeren Anteil an Land als herkömmliche Viehbestände. Für die Produktion von 1 kg Protein aus Mehlwürmern werden etwa 15 m2 benötigt, verglichen mit 55 m2 für Schweine und 150–250m2 für Rinder.[v]
Risiko von Zoonose-Infektionen:
Das Risiko von Infektionen, die von Wild- oder Haustieren auf den Menschen übertragen werden (z. B. SARS, H5N1, H7N7), wird bei Insekten als nicht vorhanden bis gering eingeschätzt, da Insekten taxonomisch viel weiter vom Menschen entfernt sind als herkömmliche Nutztiere.
Schweizer Vorschriften
-Tenebrio molitor, Larve (Mehlwurm)

Von links nach rechts: Larve, Puppe und adulter Gelber Mehlwurm (Tenebrio molitor). Bild: Adobe Stock
-Acheta domesticus, adult (Hausgrille/Heimchen)

Hausgrille/Heimchen (Acheta domesticus). Bild: Adobe Stock
- Locusta migratoria, adult (Europäische Wanderheuschrecke)

Eine adulte Europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria). Bild: Adobe Stock
Aus diesen Insektenarten isolierte Lebensmittelzutaten, wie z. B. Proteinextrakte, und die Verwendung anderer Insektenarten sind nicht zulässig. In beiden Fällen ist eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel erforderlich.
Der Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels muss Informationen über die Zusammensetzung und die Spezifikationen, die Analysemethoden, den Verwendungszweck und die Verwendungsbedingungen, das Herstellungsverfahren oder die Vermehrungs- und Zuchtmethoden enthalten.[vi]
Wird ein neuartiges Lebensmittel als solches eingestuft und zugelassen, so geschieht dies in Form einer Einzelverfügung. Die Zulassung wird für einen Zeitraum von fünf Jahren erteilt, ohne dass eine Verlängerung möglich ist. Sind die Bedingungen bezüglich Lebensmittelsicherheit und Täuschungsverbot auch nach Ablauf der Bewilligung erfüllt, wird das neuartige Lebensmittel nach erneuter Prüfung durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen in den Anhang der Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern über neuartige Lebensmittel aufgenommen.[vii]
Sind wir schon so weit?
Das war die Theorie, der Prototyp, das Laborkonzept ... Die Realität der Industrialisierung, die Komplexität der Natur, die Skalierbarkeit der Massenproduktion sind immer ausserordentlich komplexer umzusetzen! Stellen Sie sich vor, Milliarden von Insekten werden am selben Ort gezüchtet und dann breitet sich eine bakterielle Kontamination aus, die eine hohe Sterblichkeitsrate verursacht ...

Gebratene Grillen sind in vielen asiatischen Ländern ein gängiges Gericht. Bild: Adobe Stock
Nebenbei bemerkt, Insekten als Nahrungsmittel ... igitt! Anders als in Asien, Afrika, Mittel- und Südamerika ist der Verzehr von Insekten nicht Teil unserer westlichen Kultur, und vielleicht brauchen wir das auch gar nicht, denn es wird nie funktionieren, niemand wird sie essen wollen, also überlassen wir essbare Insekten den Adrenalinjunkies oder den Völkern, die sie bereits essen. Konzentrieren wir uns stattdessen auf pflanzliche Alternativen oder Labornahrungsmittel – das wird ausreichen. Zudem werden eingefleischte Veganer und Vegetarier, die keine Tiere essen, niemals Insekten essen.
Schmecken sie überhaupt?
Was Tierfutter betrifft: Ja, es steht ausser Frage, dass kein Huhn einer saftigen Insektenmahlzeit widerstehen kann. Aber Insekten für den menschlichen Gaumen? Manchmal assoziiert man ihren Geschmack mit Haselnüssen, ein anderes Mal mit Popcorn, Shrimps und so weiter. Aber das ist nicht der Schlüssel zu dieser Antwort, denn schliesslich ist die Beurteilung des Geschmacks völlig individuell und ... besonders subjektiv.

Kürbissuppe mit Mehlwürmern. Bild: Adobe Stock
Die Antwort liegt eher darin, wie Insekten zubereitet werden können, welche Kombinationen von Insekten möglich sind, wie sie mit anderen Lebensmitteln kombiniert werden können, wie subtil sie sein können ... Einige Köche werden Ihnen sagen, dass der Umami-Aspekt sehr interessant ist. Andere werden Ihnen sagen, dass ihr schwacher Geschmack eine grossartige Gelegenheit ist, Insekten kulinarisch unendlich zu nutzen ... Die Herausforderung eines guten Rezepts liegt eher in der Veränderung der Farbe (Insekten verdunkeln Mischungen) oder der Konsistenz bestimmter Rezepte aufgrund des Fehlens von Gluten (Brot, Nudeln). Was ist also die Antwort auf die Frage des Geschmacks? Vielleicht ist es einfach so, dass Insekten weder gut noch schlecht schmecken, sondern ... das Gegenteil!
Quellen
[i] Żuk-Gołaszewska K et al. 2022. Edible Insect Farming in the Context of the EU Regulations and Marketing—An Overview. Insects 13(5):446. https://doi.org/10.3390/insects13050446
[ii] United Nations’ Food and Agriculture Organization (FAO): Edible insects Future prospects for food and feed security: https://www.fao.org/4/i3253e/i3253e.pdf
[iii] Miglietta PP 2015. Mealworms for Food: A Water Footprint Perspective. Water 7:6190-6203. https://doi.org/10.3390/w7116190
[iv] United Nations’ Food and Agriculture Organization (FAO): Der Beitrag von Insekten zu Nahrungssicherung, Lebensunterhalt und Umwelt. https://www.fao.org/edible-insects/en/ Stand 2.10.24
[v] Oonincx DGAB & de Boer IJM 2012. Environmental Impact of the Production of Mealworms as a Protein Source for Humans – A Life Cycle Assessment. PLoS ONE 7(12): e51145. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0051145
[vi] Fedlex. Verordnung des EDI über neuartige Lebensmittel. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/159/de Stand 2.10.24
[vii] BLV: Bewilligung von neuartigen Lebensmitteln. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/rechts-und-vollzugsgrundlagen/bewilligung-und-meldung/bewilligung.htmlStand 2.10.24