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Umberto Diecinove – Projekt I N S C T S

Vergessen Sie Mode-, Landschafts- oder abstrakte Fotografie. In unserem nächsten Interview tauchen wir in die Welt eines Fotografen ein, der die unerwartete Schönheit der Insektenzucht auf der ganzen Welt festhält. Von essbaren Grillen bis hin zu Schwarzen Soldatenfliegen – die Linse dieses Fotografen definiert neu, was wir als Kunst betrachten, und wirft gleichzeitig ein Licht auf Nachhaltigkeit und Zukunft der Ernährung. 

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Umberto Diecinove bei der Arbeit.

Umberto Diecinove bei der Arbeit. Bild: © Umberto Diecinove

Wer ist Umberto Diecinove? 

Ich bin Dokumentarfotograf und Filmemacher. Ich wurde 1978 in Italien geboren, habe Literatur und Philosophie mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Lyrik studiert und dann den PHotoESPAÑA-Master in Fotografie erworben. Ich habe in verschiedenen europäischen Ländern gelebt und betrachte mich daher in erster Linie als europäischen Bürger und Autor. 

Ein Porträtfoto von Umberto Diecinove.

Ein Porträtfoto von Umberto Diecinove. Image: © Umberto Diecinove

Können Sie das Projekt I N S C T S beschreiben? 

I N S C T S ist ein laufendes globales Multimedia-Projekt, das die Lösungen dokumentiert, die die Insektenzucht für ökologische und soziale Herausforderungen bietet. Die Fotos wurden in Forschungszentren, Farmen, Gemeinden und Unternehmen auf der ganzen Welt aufgenommen. Während der Aufnahmen habe ich auch Gespräche aufgezeichnet. Einige von ihnen sind als Podcast mit dem Titel „Get The Bug“ veröffentlicht. Und so fing es an: 2017 entdeckte ich durch einen Auftrag die Insektenzucht. Ich begann, das Thema zu recherchieren, und 2019 machte ich die ersten I N S C T S-Fotos, musste das ganze Projekt aber wegen der COVID-19-Pandemie auf Eis legen. In dieser Zeit beschloss ich, meine persönliche Forschung in einen Podcast umzuwandeln, um eine unmittelbarere Wirkung zu erzielen, die Gemeinschaft hinter den essbaren Insekten zu stärken und zum Handeln und zur Veränderung anzuregen. 

Welche Länder haben Sie bisher für dieses Projekt besucht? Welches war das eindruckvollste Land?  

In Europa war ich in den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Italien, Portugal und Deutschland. Ausserhalb Europas: Kolumbien, Thailand, Malaysia und in den USA (Kalifornien und Texas). I N S C T S konzentriert sich sowohl auf die Menschen, die auf Veränderungen hinarbeiten, als auch auf diejenigen, die davon profitieren würden. Es geht also um Begegnungen und um eine sehr transformative Erfahrung. Und ganz ehrlich: Das habe ich nicht erwartet. Aber wenn Sie mich nach „einem Land“ fragen – wenn ich also ein einschneidendes Erlebnis auswählen soll – dann lautet meine Antwort zweifellos Kolumbien. Ich verbrachte Wochen am Rande des Amazonas-Regenwalds mit Insektenzüchtern, die Teil der FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) waren, und ich hatte die Gelegenheit, die indigene Gemeinschaft der Aurachos in der Sierra Nevada in ihrem angestammten, heiligen Gebiet zu besuchen, wo sie gerade dabei sind, die Zucht der Schwarzen Soldatenfliege einzuführen.

Eine Arbeiterin inspiziert schwarze Soldatenfliegen in einer industriellen Produktionsanlage in Malaysia.

Eine Arbeiterin inspiziert Schwarze Soldatenfliegen in einer industriellen Produktionsanlage in Malaysia. Bild: © Umberto Diecinove

Was bieten Insekten im Hinblick auf soziale Herausforderungen?  

Man kann den Insektenanbau als eine landwirtschaftliche Umverteilungspraxis bezeichnen. Denn gerade in den Tropen herrschen ideale Bedingungen, so dass Insekten in vielen ländlichen Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eine erschwingliche Möglichkeit bieten, die Armut zu lindern. Der Anbau von Insekten könnte Kleinbauern unabhängiger von teuren – und umweltschädlichen – importierten Futter- und Düngemitteln machen. 

Ehemalige FARC-EP-Guerillakämpfer und Indigene, die beide am Projekt „Insectos Por La Paz“ beteiligt sind, kümmern sich um adulte Schwarze Soldatenfliegen.

Ehemalige FARC-EP-Guerillakämpfer und Indigene, die beide am Projekt „Insectos Por La Paz“ beteiligt sind, kümmern sich um adulte Schwarze Soldatenfliegen. Bild: © Umberto Diecinove

Insbesondere die Schwarze Soldatenfliege liefert hochwertige Nährstoffe mit geringen Umweltauswirkungen und kann lokal auf einer Vielzahl von organischen Reststoffen gezüchtet werden: von Pflanzenresten bis hin zu Lebensmittelabfällen. „Insectos Por La Paz / Insekten für den Frieden“ – das von Karol Barragàn Fonseca, Professorin an der Universidad Nacional De Colombia, in Kolumbien ins Leben gerufene Projekt – ist ein inspirierendes Beispiel dafür, was die Insektenzucht im globalen Süden leisten kann. Ihr Projekt fördert die Wiedereingliederung ehemaliger Guerillakämpfer und unterstützt die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung, indem es sie zu Kleinbauern und Insektenzüchtern ausbildet. Projekte wie „Insectos Por La Paz“ gibt es auch in ländlichen Gebieten Afrikas und Asiens, und ich habe vor, einige von ihnen zu dokumentieren. 

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Kennen Sie andere Kunstschaffende, die sich mit demselben Thema beschäftigen? Wie reagieren sie auf die wachsende Insektenindustrie? 

Mir ist kein anderes künstlerisches Projekt bekannt, das sich mit der Insektenzucht beschäftigt. Aber ich kann Ihnen sagen, dass die Resonanz im künstlerischen / fotografischen Bereich sehr positiv war. Obwohl es sich bei I N S C T S um ein laufendes Projekt handelt, hatte ich bereits die Möglichkeit, es in mehreren Ausstellungen zu zeigen: in Kalifornien, den Niederlanden, Irland, Ungarn, Frankreich und Spanien.

Vor kurzem habe ich eine tragbare Installation entwickelt, die an jeden beliebigen Ort angepasst werden kann. Ich habe sie bei der Veranstaltung „Insects to Feed the World“ in Singapur und bei einer von der Universität Wageningen organisierten Veranstaltung eingesetzt. Ich erwähne dies, weil ich möchte, dass diese Arbeit über den Kreis der Fotografen hinausgeht und durch Konferenzen und Outreach-Veranstaltungen ein grösseres Publikum erreicht. Vielleicht findet ein Teil Ihrer Leserschaft dies als eine interessante Gelegenheit.

Eine Arbeiterin im Raum für adulte Schwarze Soldatenfliegen in einer industriellen Produktionsanlage in Italien.

Eine Arbeiterin im Raum für adulte Schwarze Soldatenfliegen in einer industriellen Produktionsanlage in Italien. Bild: © Umberto Diecinove

Haben Sie schon einmal an einem anderen wissenschaftlichen Projekt gearbeitet? Wie finden Sie die Zusammenarbeit mit Forschenden und die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen? 

Dies ist meine erste Erfahrung in einem so strukturierten Rahmen, und ich würde sie als aus kontinuierlichem Dialog und Resonanz bestehend beschreiben. Ein Künstler ist ein Forscher, der das Privileg hat, Themen und Untersuchungsmethoden zu wählen, zumindest ist das meine Definition. Kunstschaffende müssen sich auf die Komplexität und ihre tiefe Schönheit einlassen, Forschende tun dies tagtäglich.

Ein Landwirt in den Niederlanden, fotografiert durch ein Netz mit Mehlwürmern.

Ein Landwirt in den Niederlanden, fotografiert durch ein Netz mit Mehlwürmern. Bild: © Umberto Diecinove

Wie sieht die Zukunft des Projekts I N S C T S aus? 

I N S C T S ist ein unabhängiges, selbstfinanziertes Projekt, mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Was ich erreichen kann – und wann ich es erreichen kann – hängt also von den Zuschüssen, Auszeichnungen oder Partnerschaften ab, die ich gewinnen kann. Und natürlich sind alle Vorschläge willkommen. Um die erste I N S C T S-Phase abzuschliessen, möchte ich zum Beispiel die Insektenzucht in Afrika und in weiteren asiatischen Ländern dokumentieren. Und ich erweitere den Fokus auch auf Frass (Insektenkot), also Biodünger. Im Idealfall wird sich I N S C T S zu einem Fotobuch und einem Dokumentarfilm weiterentwickeln. 

Weitere Informationen zu I N S C T S finden Sie hier:

https://www.studiodiecinove.com/

https://www.futures-photography.com/projects/inscts

Quellen

Barragán-Fonseca KY et al. 2020. Insects for peace. Current Opinion in Insect Science  40:85–93. https://doi.org/10.1016/j.cois.2020.05.011

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