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Aaskäfer – Die Putztruppe der Natur

Lernen Sie die unbekannten Helden der Natur kennen: Aaskäfer. Als wichtige Zersetzer und Recycler ernähren sich die meisten Aaskäfer von toten Tieren und nutzen sie zur Fortpflanzung. Ashleigh Whiffin, Kuratorin für Entomologie an den National Museums Scotland und Aaskäfer-Spezialistin, stellt uns die natürliche Putzkolonne der Natur vor.

veröffentlicht am:
geschrieben von:
Richard Whitson Nicrophorus vespilloides

Systematik

Reich
Tiere (Animalia)
Stamm
Gliederfüsser (Arthropoda)
Klasse
Insekten (Insecta)
Ordnung
Käfer (Coleoptera)
Familie
Kurzflügler (Staphylinidae)
Gattung
Art

Das Benennen von Käfern ist eine schwierige Sache

Bis Januar 2025 gehörten die Aaskäfer zur Familie der Silphidae. Diese Klassifikation wurde jedoch geändert: Die Silphidae gelten nun als Unterfamilie der Staphylinidae, und die bisherigen Unterfamilien Nicrophorinae und Silphinae sind nun die Triben Nicrophorini und Silphini (siehe Sikes DS et al.). Da diese Änderung erst kürzlich vorgenommen wurde, spiegeln viele Online- und Printpublikationen möglicherweise noch die alte Klassifikation wider.

Aaskäfer verströmen einen schwachen Geruch von Verwesung. Wie ihr Name schon andeutet, haben die meisten Arten dieser Gruppe mit toten Tieren zu tun. Ihr Lebensstil mag nicht besonders glamourös erscheinen, doch als die Bestatter der Natur übernehmen viele Aaskäfer eine essenzielle Aufgabe – sie beseitigen verwesende Kadaver, reduzieren die Ausbreitung von Krankheiten und nutzen die Toten zur Schaffung neuen Lebens.

Die Nicrophorus-Arten sind besonders bekannt für ihre Fähigkeit, tote Vögel und kleine Säugetiere (wie Mäuse oder Wühlmäuse) zu vergraben – daher auch ihr gebräuchlicher Name „Totengräber“. Empfindliche Chemorezeptoren an ihren Antennen erkennen schwefelhaltige Verbindungen, die von Aas freigesetzt werden, und ermöglichen es ihnen, ein totes Tier über mehrere Kilometer hinweg aufzuspüren. Findet ein Männchen einen Kadaver, gibt es ein Pheromon aus seinem Hinterleib ab, um ein Weibchen anzulocken. Sobald es eine Partnerin gefunden hat, paaren sich die Käfer und beginnen an ihrem Heim zu arbeiten.

Da Aas eine nur kurz verfügbare Ressource ist, müssen die Käfer schnell handeln, um ihr Fundstück vor anderen Aasfressern zu sichern. Das Paar arbeitet zusammen, indem es den Boden unter dem Kadaver ausgräbt, bis dieser verschwindet. Diese starken und effizienten Käfer können Überreste vergraben, die bis zu 30-mal so schwer sind wie sie selbst – und das in nur fünf bis acht Stunden!

Falls das noch nicht beeindruckend genug ist: Diese Käfer sind auch äusserst fürsorgliche Eltern. Männchen und Weibchen arbeiten gemeinsam daran, den Kadaver zu bearbeiten und ihn in ein unterirdisches Nest zu verwandeln. Sie bedecken den Kadaver mit antimikrobiellen Sekreten, um die Verwesung zu verlangsamen, und verteidigen ihr Nest gegen rivalisierende Insekten. Sie verdauen das verwesende Fleisch praktischerweise sogar vor und würgen es für ihre Larven wieder hoch. Können Sie das auch von Ihren Eltern sagen?

Neben diesem liebenswerten Verhalten spielt ihre Angewohnheit Aas zu vergraben eine wichtige Rolle im Recycling von toten Tieren und trägt zur Gesundheit des Ökosystems bei. Und sie tun das schon seit langer Zeit! Fossilienfunde zeigen, dass Aaskäfer bereits im mittleren Jura (vor 165 Millionen Jahren) existierten und möglicherweise eine bedeutende Rolle beim Abbau von Dinosauriern und frühen Säugetieren spielten.

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Ein Paar Schwarzhörniger Totengräber (Nicrophorus vespilloides) kümmert sich um seinen Nachwuchs. Bild: © Tom Ratz.

Aaskäfer, insbesondere die Totengräber (Nicrophorus spp.), werden oft mit phoretischen* Milben (Poecilochirus sp.; Acari: Parasitidae) auf ihrem Rücken beobachtet. Diese Mitreisenden sind ebenfalls auf der Suche nach Aas, da sie sich von den Eiern oder kleinen Larven von Aasfliegen ernähren.

Diese Beziehung wurde lange als mutualistisch (für beide Seiten nützlich) betrachtet: Die Käfer dienen den Milben als Transportmittel, während die Milben den Käfern helfen, indem sie die Konkurrenz um das Aas verringern. Allerdings haben einige Studien gezeigt, dass diese Beziehung nicht immer vorteilhaft für die Käfer ist, da bestimmte Milbenarten auch die Eier der Totengräber fressen.

Liam Olds Nicrophorus vespilloides

Ein Schwarzhörniger Totengräber transportiert einige Milben-Passagiere. Bild: © Liam Olds.

Eine vielfältige Familie

Weltweit sind fast 200 Arten von Aaskäfern bekannt, von denen nur 21 in Grossbritannien nachgewiesen wurden. Einige Arten sind weit verbreitet und häufig in Hausgärten, Parks und Wäldern anzutreffen. Manche werden – ähnlich wie Motten – vom Licht angezogen, sodass sie sich gelegentlich an Aussenbeleuchtungen versammeln oder in Gebäude gelangen.

Der am häufigsten vorkommende Totengräber ist der Schwarze Totengräber (Nicrophorus humator), ein grosser Käfer, von Kopf bis Fuss in Schwarz gekleidet, mit Ausnahme seiner keulenförmigen, orange gefärbten Fühler. Knapp dahinter folgt der Kleine Totengräber (Nicrophorus investigator), der ebenfalls orange Fühlerkeulen besitzt. Er gehört zu fünf Arten mit auffälligen orangefarbenen Zeichnungen auf den Flügeldecken (Elytren), die als Warnsignal für Fressfeinde dienen.

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Links: Der Schwarze Totengräber (Nicrophorus humator). Rechts: Der Kleine Totengräber (Nicrophorus investigator). Bild: © NMS

Arten wie der Ufer-Totengräber (Necrodes littoralis) sind weniger engagierte Eltern. Ihre Nachkommen ernähren sich von grösseren Aasfunden an der Oberfläche und übernehmen so ebenfalls eine wichtige Rolle als Zersetzer.

Es sei denn, sie werden von einer Titanwurz (Amorphophallus titanum) getäuscht – wie derjenigen, die 2019 im Royal Botanic Garden Edinburgh (RBGE) zu bewundern war. Es versteht sich von selbst, dass diese beeindruckend übelriechende Pflanze nicht in Schottland heimisch ist. In den Regenwäldern Indonesiens, wo sie natürlich vorkommt, verströmt sie einen intensiven Verwesungsgeruch, um Aas-liebende Insekten anzulocken, einschliesslich einer nah verwandten Käferart (Diamesus osculans), die als möglicher Bestäuber dieser Pflanze gilt.

Schon gewusst?

Titanwurzen werden auch in der Schweiz kultiviert. 2023 blühte jeweils ein Exemplar in den Botanischen Gärten von Zürich und Basel  sowie im Papiliorama in Kerzers.

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Links: Ein weiblicher Ufer-Totengräber (Necrodes littoralis), angezogen von der Titanwurz im RBGE. Rechts: Eine Nahaufnahme desselben Käfers. Bild: © Ashleigh Whiffin

Trotz ihres Namens gibt es innerhalb der Aaskäfer auch einige Arten, die sich überhaupt nicht von Aas ernähren. Einige sind reine Jäger, wie der Schwarze Schneckenjäger (Phosphuga atrata). Dieser spezialisierte Schneckenräuber setzt Verdauungsenzyme ein, um den schützenden Schleim der Schnecken zu durchbrechen und ihr Fleisch zu verdauen. Sein schlanker Kopf ermöglicht es ihm, in das Gehäuse vorzudringen. Dann gibt es noch den auffällig gezeichneten Vierpunktigen Aaskäfer (Dendroxena quadrimaculata), der in den Baumkronen von Eichen auf die Jagd nach Mottenraupen geht.

Maria Justamond Phosphuga atrata

Ein Schwarzer Schneckenjäger (Phosphuga atrata) in Aktion. Bild: © Maria Justamond.

Um noch einen weiteren Lebensstil hinzuzufügen, gibt es auch eine Art, die phytophag (pflanzenfressend) ist! Der Goldfarbene Rübenaaskäfer (Aclypea opaca) hat eine besondere Vorliebe für Zuckerrüben und Kohlgewächse. Was für ein vielfältiger Haufen!

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Ein Exemplar eines Schwarzen Schneckenjägers (Phosphuga atrata) aus der NMS-Sammlung. Bild: © NMS

Die Sammlung der National Museums Scotland (NMS)

Die Museumssammlung ist eine wahre Schatzkiste an Informationen. Jedes unserer erhaltenen Insektenexemplare wird durch Datenetiketten begleitet, die uns verraten, wo und wann das Insekt gefunden wurde, mit was es assoziiert war und von wem es gesammelt wurde. Dies liefert wertvolle und konkrete Beweise dafür, dass eine Art zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort vorkam.

Das Extrahieren dieser Daten von den Etiketten ermöglicht es uns, Informationen zusammenzustellen, die uns mehr über die Verbreitung von Arten erzählen und uns Veränderungen über die Jahre hinweg aufzeigen. Zusammen mit aktuellen Aufzeichnungen sind dies wichtige Informationen, die Naturschutzmassnahmen zugrunde liegen.

Part of the NMS collection of Carrion beetles subfamily Silphinae

Teil der NMS-Sammlung von Aaskäfern (Unterfamilie Silphinae). Bild: © Ashleigh Whiffin

Unsere Sammlung enthält Exemplare von Aaskäfern aus der ganzen Welt, aber die Mehrheit wurde in Schottland gesammelt. Ich habe unsere Sammlung von 800 britischen und irischen Exemplaren in eine Datenbank eingegeben, um die nützlichen ökologischen Informationen, die mit ihnen verbunden sind, zu extrahieren. Dabei stiess ich auf einige besonders interessante Exemplare, wie zum Beispiel ein Exemplar, das 1840 vom Reverend W.D. Fox gesammelt wurde – Charles Darwins zweiten Cousin! Diese historischen Aufzeichnungen bilden nun einen Teil des nationalen Datensatzes für Aaskäfer, der Teil unserer übergeordneten Mission ist, unsere Exemplare zu digitalisieren, um unsere Sammlung für die Forschung besser zugänglich zu machen.

Databasing historical specimens from the collection

Erfassung historischer Exemplare der Sammlung in einer Datenbank. Bild: © Ashleigh Whiffin

In meiner Freizeit bin ich als Mitorganisatorin des Carrion Beetle Recording Scheme tätig, einer von vielen Citizen Science (Bürgerwissenschafts-) Initiativen, die sich dafür einsetzen, die weniger bekannten Insektengruppen zu dokumentieren. Seit 2016 sammeln wir Datensätze über Aaskäfer, um ihre Ökologie, Verbreitung und ihren Erhaltungsstatus besser zu verstehen.

Lesen Sie hier mehr über Ashleighs Arbeit.

Dank einer engagierten Gemeinschaft von biologischen Erfassern sind im Rahmen des Programms mehr als 30 000 Datensätze zusammengekommen, was die Erstellung eines Atlasses ermöglichte. Dennoch gibt es noch viel zu tun, und wir sind bestrebt, so viele Menschen wie möglich dazu zu bewegen, diese Käfer zu dokumentieren! Wenn Sie lernen möchten, wie man sie identifiziert, finden Sie auf der Webseite des Erfassungsprogramms kostenlose Ressourcen.

CSI-Käfer

Da viele dieser Käfer von den Toten angezogen werden, bringen sie einen weiteren erstaunlichen Nutzen mit sich: Sie können nützliche Hinweise in Todesermittlungen liefern. Ihre Anwesenheit an einem Leichnam kann helfen, das minimale post-mortem Intervall festzulegen – also die seit dem Tod verstrichene Zeit. Wenn wir sicherstellen, dass unser Wissen über die Verbreitung und die Auswirkungen der Umwelt und der Jahreszeiten auf den Lebenszyklus der Aaskäfer detailliert und genau ist, könnten diese Daten für Ermittler von Nutzen sein.
Lesen Sie mehr über forensische Entomologie in unserem Artikel „Dr. Amoret Whitaker – Insekten am Tatort".

Ashleigh Whiffin Carrion Clown beelte atlas

Ein umfassender Atlas, der 75 Arten aus drei charismatischen Käferfamilien abdeckt. Hinweis: Dieses Buch wurde vor der Änderung der taxonomischen Klassifikation veröffentlicht (Silphidae wurden auf Unterfamilienebene herabgestuft und in die Staphylinidae eingegliedert)! Bild: © Ashleigh Whiffin

Während Zersetzer oft nicht so viel Aufmerksamkeit erhalten wie ihre Bestäuber-Gegenstücke, sind sie genauso wichtig und verdienen unseren Respekt. Eine Welt ohne Aaskäfer und andere Zersetzer wäre ein ziemlich schlimmer Ort!

Glossar*

Phoretisch: Wenn eine Tierart eine andere Tierart zum Transport nutzt, ohne ihr zu schaden.

Phoretic: When an animal species uses another animal species for transportation without harming it.

Quellen

Beninger CW 1993. Egg Predation by Poecilochirus carabi (Mesostigmata: Parasitidae) and its Effect on Reproduction of Nicrophorus vespilloides (Coleoptera: Silphidae), Environmental Entomology, 22;4:766-769. https://doi.org/10.1093/ee/22.4.766

Cai C et al. 2014. Early origin of parental care in Mesozoic carrion beetles, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111;39:14170-14174. https://doi.org/10.1073/pnas.1412280111

Lane SA et al. 2020. The Histeridae, Sphaeritidae and Silphidae of Britain and Ireland. Field Studies Publications, Telford.

Sikes DS et al. 2024. Large carrion and burying beetles evolved from Staphylinidae (Coleoptera, Staphylinidae, Silphinae): a review of the evidence. ZooKeys 1200:159-182. https://doi.org/10.3897/zookeys.1200.122835

Claudel C. 2021. The many elusive pollinators in the genus Amorphophallus. Arthropod-Plant Interactions. 15:833-844. https://doi.org/10.1007/s11829-021-09865-x 

Autor:in

1b Ashleigh Whiffin Molly Wilders

Ashleigh Whiffin

National Museums Scotland

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