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Eine neue Herausforderung für Europa: das West-Nil-Virus

Das West-Nil-Virus (WNV) wird hauptsächlich durch Stechmücken der Gattung Culex übertragen. Der Stich einer infizierten Stechmücke kann beim Menschen zu West-Nil-Fieber führen. Seit einigen Jahren wandert das WNV nach Norden.

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Arten der Gattung Culex sind die Hauptüberträger des West-Nil-Virus.

Arten der Gattung Culex sind die Hauptüberträger des West-Nil-Virus. Bild: © Kaan Mika

Systematik

Reich
Tiere (Animalia)
Stamm
Gliederfüsser (Arthropoda)
Klasse
Insekten (Insecta)
Ordnung
Zweiflügler (Diptera)
Familie
Stechmücken (Culicidae)
Gattung
Culex
Art
Gemeine Stechmücke (C. pipiens)

WNV auf dem Vormarsch

WNV wurde 1937 in Uganda entdeckt und breitet sich seither fortlaufend rund um den Globus aus. Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich sind in den letzten Jahren von WNV betroffen gewesen. Ausserdem leben in der Schweiz einige Stechmückenarten wie Culex pipiens, Culex torrentium und Aedes japonicus, die WNV übertragen können. Angesichts der Nähe der bereits betroffenen Länder zur Schweiz war die Ausbreitung des Virus unvermeidlich. Tatsächlich wurden 2022 zum ersten Mal WNV-infizierte Stechmücken in der Schweiz nachgewiesen. Glücklicherweise wurden bis jetzt (Stand 2023) keine Todesfälle durch WNV gemeldet, aber es ist zu erwarten, dass die folgenden Jahre problematischer werden, wenn nicht die notwendigen Massnahmen ergriffen werden.

Wie verbreitet sich das WNV?

Vögel sind das Hauptreservoir für das WNV, wobei die meisten von ihnen nicht erkranken oder die Infektion überleben. Dennoch können Stechmücken als Vektoren fungieren und das WNV von Vögeln auf Menschen und Pferde übertragen. In diesen Fällen gelten Menschen und Pferde als Endwirte, da sich das Virus in ihren Körpern nicht so effizient repliziert. Folglich bleiben die Virusmengen in ihrem Blutkreislauf relativ niedrig und reichen nicht aus, um Mücken zu infizieren, die sich anschliessend von ihnen ernähren. Dies schränkt letztlich die weitere Übertragung des Virus ein.

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WNV zirkuliert unter Vögeln, und infizierte Stechmücken übertragen die Krankheit auf den Menschen. Bild: © Kaan Mika

Ist WNV gefährlich? 

Obwohl die meisten Infizierten asymptomatisch sind, führen etwa 20% der Infektionen zu Komplikationen wie Fieber, Kopfschmerzen, Durchfall usw. In seltenen Fällen (Verhältnis 1:150) kann das Virus eine Entzündung des Nervensystems verursachen, die in sehr seltenen Fällen tödlich verlaufen kann, insbesondere bei Menschen über 50.

Weitere Informationen zum West-Nil-Virus:

Wie spüren Forschende das Virus in der Schweiz auf?

Aufgrund von WNV-Ausbrüchen in Norditalien ist das Virus seit einigen Jahren auf dem Radar von Behörden und Forschung in der Schweiz, insbesondere im Kanton Tessin. In den meisten Fällen wird das Vorhandensein eines bestimmten Virus bestätigt, wenn Krankenhäuser oder Tierärzt:innen die Gesundheitsbehörden über die entsprechenden Krankheiten informieren. Dies geschieht oft erst, nachdem eine beträchtliche Anzahl von Menschen von einer Stechmücke infiziert wurde, da die meisten Fälle einer WNV-Infektion asymptomatisch verlaufen. Ein früheres Aufspüren infizierter Stechmücken könnte die nötige Zeit verschaffen, um Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen, und ist daher von entscheidender Bedeutung, um die Übertragung der Krankheit an neuen Orten zu verhindern.

Wie fängt man eine Mücke?

Eine gängige Praxis zur Früherkennung von Viren besteht darin, Tausende von Mücken zu fangen und sie auf zirkulierende Viren zu untersuchen. Zu diesem Zweck platzieren Forschende Moskitofallen an strategischen Orten und besuchen diese regelmässig, um Mücken zu sammeln und die Batterien zu wechseln. Besonders effektiv für den Fang von Culex-Mücken sind sogenannte Gravid-Boxen, die aus einer Wanne und einer Box mit einem Ventilator und einer Sammelkammer bestehen. Um gravide (trächtige) Mücken anzulocken, wird ein Heuaufguss in die Schale gegossen (der Geruch von in stehendem Wasser verrottendem Heu zieht Mücken an). Wenn eine weibliche Mücke angeflogen kommt, um ihre Eier auf dem Wasser abzulegen, wird sie sofort mit Hilfe des Ventilators in die Sammelkammer gesaugt, aus der sie nicht entkommen kann.

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Obwohl sie von aussen wie gewöhnliche Werkzeugkästen aussehen, sind Gravid-Boxen ein effektives Mittel, um Stechmücken in der Natur zu fangen. Bild: Fairfax County, CC-Lizenz

Nach dem Einfangen der Mücken identifizieren die Forschenden die Art unter dem Lichtmikroskop, isolieren das genetische Material mit molekularbiologischen Methoden und suchen mit Hilfe der PCR* nach bestimmten Viren. Diese Methode hat jedoch zwei grosse Nachteile: (i) sie ist teuer und mühsam und (ii) es ist schwierig, das Vorhandensein eines Virus nachzuweisen, wenn die Übertragungsrate sehr niedrig ist. Um diese Probleme zu überwinden, legen die Forschenden mit Honig getränkte FTA-Karten in die Gravid-Boxen.

Was sind FTA-Karten mit Honigköder?

FTA-Karten (Fast Technology for Analysis of nucleic acids) sind Filterpapiere, die genetisches Material über einen langen Zeitraum konservieren können. Wenn Honig auf das Papier aufgetragen wurde, ernähren sich einige der gefangenen Mücken davon und geben ihren Speichel auf die FTA-Karte ab. Die Proteine und Zellen im Speichel denaturieren schnell, aber die Nukleinsäuren (DNA und RNA) bleiben erhalten. Später können die Nukleinsäuren extrahiert und zur Bestimmung von Viren- und Bakterienarten verwendet werden, die in diesen Mückenpopulationen zirkulieren.

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Gravid-Box und FTA-Karte, die in der Falle platziert wurde. Sobald sich die Mücken von der mit Honig getränkten FTA-Karte ernährt haben, kann das genetische Material der zirkulierenden Viren erfasst werden. Bild: angepasst von Wipf NC et al. 2019, CC-Lizenz

Aktuelle Situation

Im Jahr 2022 wurden an 8 von 12 Orten im Kanton Tessin, die von Forschenden der SUPSI (Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana) überwacht wurden, WNV-übertragende Stechmücken gefunden! Aufgrund der globalen Erwärmung finden die Stechmücken in den nördlichen Teilen Europas immer günstigere Bedingungen für ihre Entwicklung vor. Da sich die Krankheitsüberträger weiter ausbreiten werden, ist eine genaue Beobachtung ihrer Migrationsmuster erforderlich, um die notwendigen Massnahmen zur Verhinderung von Krankheitsausbrüchen zu ergreifen. Das Vorkommen der Krankheit in den Nachbarländern hat bereits das Blutspendeverfahren in der Schweiz erschwert, und es wird erwartet, dass in den nächsten Jahren ein obligatorisches WNV-Screening für Blutspenden als zusätzliche Sicherheitsmassnahme eingeführt wird, um die Ausbreitung von WNV einzudämmen.

Darüber hinaus stellt WNV auch ein Gesundheitsrisiko für einige Vogelarten dar, z. B. für Bartgeier, einen in der Schweiz wieder angesiedelten Raubvogel. Daher werden derzeit Impfstoffe gegen WNV für Vögel entwickelt, und es wurden bereits Versuche in europäischen Zoos gestartet.

*Glossar

PCR: Abkürzung für "polymerase chain reaction" (Polymerase-Kettenreaktion). Mit dieser Methode wird ein genau definierter kurzer DNA-Abschnitt in einer Probe vervielfältigt und nachgewiesen.

Quellen

Fynmore N et al. 2022. Honey-baited FTA cards in box gravid traps for the assessment of Usutu virus circulation in mosquito populations in Germany. Acta Tropica 235:106649. https://doi.org/10.1016/j.actatropica.2022.106649

Wipf NC et al. 2019. Evaluation of honey-baited FTA cards in combination with different mosquito traps in an area of low arbovirus prevalence. Parasites Vectors 12:554. https://doi.org/10.1186/s13071-019-3798-8 

Bergman F et al. 2023. Vaccination of Zoo Birds against West Nile Virus—A Field Study. Vaccines 2023, 11(3):652. https://doi.org/10.3390/vaccines11030652

Vulture Conservation Foundation 2023. Tackling the threat of West Nile Virus within the Bearded Vulture Captive Breeding Network. https://4vultures.org/blog/tackling-the-threat-of-west-nile-virus-within-the-bearded-vulture-captive-breeding-network/ Stand 10.11.2023

SUPSI. Ecologia dei vettori (ECOVET) https://sites.supsi.ch/im/ricerca/Ecologia-dei-vettori.html Stand 10.11.2023

Autor:in

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Dr. Kaan Mika

ETH Zurich - The Biocommunication Group

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