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Gnitzen – Eine neue Gefahr für Schweizer Nutztiere

Sie sind kaum zu sehen, aber unmöglich zu ignorieren, wenn sie stechen: Gnitzen plagen Menschen und bedrohen Nutztiere.

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Für manche ein typisch schottischer Anblick: Schwärme von Gnitzen, die Schottische Hochlandrinder angreifen. Gnitzen sind jedoch überall auf der Welt zu finden. Bild: Adobe Stock

Wie viele verschiedene blutsaugende Insekten kennen Sie? Sicherlich kennen Sie Stechmücken und Bremsen, vielleicht auch Sandmücken. Aber haben Sie schon einmal von Gnitzen gehört? Vielleicht ist Ihnen ihr englische Name geläufig, wenn Sie auf einer Sommerreise durch Schottland der äusserst lästigen “Highland Midge” begegnet sind! Midges bzw. Gnitzen (Gattung Culicoides) sind die kleinsten blutsaugenden Insekten der Welt: Ihre Körperlänge beträgt nur 1–3 mm, und sie sind auch als “No-see-ums” bekannt (eine englische Variation von “you don't see them”, du siehst sie nicht). Nur weibliche Gnitzen nehmen Blutmahlzeiten zu sich, um ihren Eiweissbedarf für die Eiablage zu decken. Der Stich einer Gnitze juckt stark und kann einen roten Fleck hinterlassen, der bis zu zwei Wochen lang bestehen bleibt.

Kein schottisches Monopol

In Europa gibt es schätzungsweise 230 Arten von Culicoides-Gnitzen, von denen 33 in der Schweiz nachgewiesen sind. Diese Insekten sind recht robust und kommen auch in Höhenlagen über 2 000 m vor. Die Aktivität der Culicoides variiert im Laufe des Jahres: Sie erscheinen Ende März, erreichen ihren Höhepunkt im Hochsommer und verschwinden allmählich bis Anfang November. Ihre Populationsgrössen sind beachtlich: Mit Lichtfallen, die bei Erhebungen eingesetzt werden, können in einer einzigen Nacht über 10 000 Individuen gefangen werden, was weit mehr ist als die Anzahl gefangener Mücken.

Bei uns in der Schweiz stechen Gnitzen nur sehr selten Menschen; sie holen sich lieber das Blut von Nutztieren. Auf ihrem Speiseplan stehen vor allem Schafe, aber auch Pferde, Rinder, Schweine und Rehe verschmähen sie nicht. Sie stechen vor allem bei Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

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Alec Hochstrasser, Doktorand an der Universität Zürich, untersucht die Interaktion von Gnitzen mit ihren Wirten. Bild: © Alec Hochstrasser 

Lebenszyklus

Culicoides legen ihre Eier in feuchte Erde oder in aus Dunghaufen sickerndes Wasser. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven ernähren sich von organischem Material* und Mikroorganismen. Nach vier Larvenstadien verpuppt sich die Mückenlarve (ähnlich wie die Puppe* einer Raupe). Nach ein paar Tagen schlüpft die erwachsene Gnitze. Männchen und Weibchen bilden Schwärme und paaren sich. Die weiblichen Gnitzen suchen dann einen Wirt für eine Blutmahlzeit, um ihre Eier zu produzieren, und der Zyklus beginnt von neuem.    

Entstehung einer neuen Gnitzenkolonie. Video: © Alec Hochstrasser
Hatched egg: geschlüpftes Ei
1st instar larva: erstes Larvenstadium
3rd instar larva: drittes Larvenstadium

Klein, aber gefährlich

Gnitzen stellen eine grosse Gefahr für Tiere dar. Ihr Speichel kann eine allergische Hautreaktion (Überempfindlichkeitsreaktion auf Insektenstiche) mit Symptomen auslösen, die vor allem bei Pferden extreme Beschwerden verursachen. Noch wichtiger ist, dass sie Erreger übertragen können, die schwere Krankheiten verursachen können. Einer der bekanntesten Krankheitserreger ist das Blauzungenvirus (BTV). Ähnlich wie bei Malaria beim Menschen kann dieser Erreger nicht direkt von einem infizierten Tier auf ein gesundes übertragen werden, selbst wenn sie nahe beieinander stehen oder aus derselben Wasserquelle trinken. Allerdings kann eine weibliche Gnitze das Virus zusammen mit dem Blut eines infizierten Tieres aufnehmen, wenn sie es sticht. Nach einer gewissen Zeit (die vom Virus und der Umgebungstemperatur abhängt), wenn sich der Erreger in der infizierten Gnitze vermehrt hat, kann er auf ein gesundes Wirtstier übertragen werden, wenn das Insekt erneut zusticht.   

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Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Gnitze (Culicoides brevitarsis), einem Überträger des Virus der Blauzungenkrankheit. Bild: Wikimedia Commons/Electron Microscopy Unit, AAHL, CSIRO, CC Lizenz

Schwer zu stoppen

In der jüngsten Vergangenheit gab es auf dem gesamten europäischen Kontinent schwere Ausbrüche der Blauzungenkrankheit bei Schafen, die schwersten davon zwischen 2006 und 2010. Gnitzen sind aufgrund ihrer geringen Grösse sehr schwer zu bekämpfen: Sie können die üblicherweise verwendeten Schutznetze zum Schutz der Ställe durchdringen. Den Regierungen blieb nur eine Möglichkeit, um die Ausbreitung von BTV zu bekämpfen: die Impfung. In der Schweiz wurde über drei Jahre (2008–2010) eine obligatorische Impfung für Millionen von gefährdeten Tieren angeordnet, wobei eine erstaunliche Durchimpfungsrate von über 80% erreicht wurde. Diese Massnahmen verursachten Kosten in Höhe von rund 20 Millionen Schweizer Franken.

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Dieses Schaf wird gegen BTV geimpft. Bild: Adobe Stock

Was tun die Forschenden?

Obwohl sie aufgrund der Probleme, die sie verursachen, berüchtigt sind, stecken diese winzigen Insekten noch voller Geheimnisse. So ist beispielsweise wenig darüber bekannt, wo sie sich tagsüber verstecken, und auch die Brutgebiete vieler Arten sind nur unzureichend beschrieben. Aus diesen Gründen und um neue Methoden zum Schutz von Tieren vor Gnitzenstichen zu finden, ist es wichtig, dass wir diese schädlichen, aber faszinierenden kleinen Insekten weiter untersuchen.

In meiner Forschung untersuche ich das Verhalten von Gnitzen sowohl im Labor als auch unter realistischeren Bedingungen. Ich biete den Insekten beispielsweise eine Reihe von Reizen an, die einen Wirt imitieren (z. B. heisse, CO2-reiche Luft, wie die Atemluft eines Säugetiers), und analysiere mit Hilfe automatisierter Video-Tracking-Technologie ihre Reaktion darauf. Auf diese Weise erfahren wir, welche Signale die Culicoides verwenden, um ihre Wirte zu finden, und wir entwickeln neue Möglichkeiten, diese zu stören. Ausserdem teste ich verschiedene natürliche Verbindungen als Insektenabwehrmittel, damit wir unsere Nutztiere mit nicht schädlichen, umweltfreundlichen Pflanzenextrakten schützen können.

Die Bewegungen von drei Gnitzen sind mit unterschiedlichen Farben dargestellt. Orange und rot markierte Gnitzen werden von der Geruchsquelle angezogen, während die grün markierte Gnitze nicht angezogen wird. © Alec Hochstrasser
Video in zweifacher Geschwindigkeit.

Mit Hilfe der Molekularbiologie versuche ich auch herauszufinden, welche Pflanzen Gnitzen anlocken könnten. Mein Ziel ist es, eine attraktive Mischung zu entwickeln, mit der wir diese Insekten fangen können, bevor sie unsere Nutztiere befallen.

Im Oktober 2023 wurde im Kanton Jura der allererste Fall der Epizootischen Hämorrhagischen Krankheit (verursacht durch ein anderes bösartiges Virus, das von Gnitzen übertragen wird) bei Rindern festgestellt (ein kurz zuvor festgestellter Fall im Kanton Bern erwies sich als falsch positiv). Dies hat uns auf traurige Weise daran erinnert, dass wir wachsam bleiben und uns weiterhin um den Schutz unserer Nutztiere bemühen müssen. Gnitzen sind winzig, aber ihre Bedeutung kann plötzlich wieder riesig werden!

*Glossar

Organisches Material: Materie, die aus organischen (kohlenstoffhaltigen) Verbindungen besteht, welche aus den Ausscheidungen und Überresten von Organismen wie Pflanzen und Tieren stammen.

Puppe: Viele Insekten durchlaufen eine vollständige Verwandlung vom unreifen zum erwachsenen Stadium. Wenn sich die Larve verpuppt, verwandelt sie sich in eine Puppe, die sich ihrerseits in ein erwachsenes Insekt verwandelt.

Quellen

Sick F et al. 2019. Culicoides biting midges - Underestimated vectors for arboviruses of public health and veterinary importance. Viruses 11(4):376. doi: 10.3390/v11040376. 

Purse BV et al. 2015. Bionomics of temperate and tropical Culicoides biting midges: Knowledge gaps and consequences for transmission of Culicoides-borne viruses. Annu Rev Entomol 60:373-92. doi: 10.1146/annurev-ento-010814-020614. 

Maurer LM et al. 2022. Vector competence of Culicoides biting midges from Switzerland for African horse sickness virus and epizootic hemorrhagic disease virus. Schweiz Arch Tierheilkd 164(1):66-70. doi: 10.17236/sat00337.

Autor:in

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Alec Hochstrasser

University of Zurich

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