Kleine Wanze mit grossem Appetit – Die Marmorierte Baumwanze
Eine kleine Stinkwanze, die 1998 auf einem Fahrradreifen in Zürich fotografiert wurde, sollte fast 20 Jahre später zu einer Bedrohung für die Erntesicherheit in Süd- und Mitteleuropa werden.

Halyomorpha halys sieht unscheinbar aus, ist aber ein gefürchteter Schädling, der sich in ganz Europa ausbreitet. Bild: Adobe Stock
Steckbrief
- Die Marmorierte Baumwanze (Halyomporpha halys) ist in China, Japan, Korea und anderen asiatischen Regionen heimisch.
- Sie ist 12–17 mm lang und hat eine dunkelbraune Farbe.
- In Mitteleuropa kann sie mit anderen Arten wie Rhaphigaster nebulosa, Troilus luridus oder Dolycoris baccarum verwechselt werden.
- Sie befällt eine erstaunliche Vielfalt von Pflanzenarten und ist ein zerstörerischer und von der Landwirtschaft gefürchteter Schädling.
Systematik
- Reich
- Tiere (Animalia)
- Stamm
- Gliederfüsser (Arthropoda)
- Klasse
- Insekten (Insecta)
- Ordnung
- Schnabelkerfe (Hemiptera)
- Familie
- Baumwanzen (Pentatomidae)
- Gattung
- Halyomorpha
- Art
- Marmorierte Baumwanze (H. halys)
Lebenszyklus
Die Weibchen von Halyomporpha halys legen 20–30 Eier an der Unterseite der Blätter ab. Innerhalb einer Woche schlüpfen die Eier, und die Miniaturausgaben der erwachsenen Wanzen (die Nymphen) beginnen an Ort und Stelle zu fressen. Larven der Marmorierten Baumwanze wird man nicht finden, da es sich um hemimetabole* Insekten handelt, d. h. sie machen keine radikale Umwandlung durch, um erwachsen zu werden, abgesehen natürlich vom Grössenwachstum. Es dauert 1–2 Monate, bis die Nymphen fortpflanzungsfähig sind. Man schätzt, dass jedes Weibchen während seines Lebens (das maximal vier Monate dauert) etwa sechsmal Eier legen kann.
Kurz gefasst
Auf Französisch wird das Wort punaise (dt. Käfer) verwendet, um eine böse Person zu bezeichnen. Stellen Sie sich das Ausmass der Bosheit vor, das Sie vermitteln, wenn Sie als punaise diabolique bezeichnet werden! Dies ist der französische Name von Halyomorpha halys, der Marmorierten Baumwanze, die Anfang des 21. Jahrhunderts von der Schweiz aus die europäischen Ackerflächen eroberte.
Der Gestank ist das geringste der Probleme, die die Marmorierte Baumwanze verursachen kann. Diese kleine Wanze ist ein gefrässiger Saftsauger, der mindestens 200 Pflanzenarten befallen kann, egal ob es sich um Wildpflanzen oder Kulturpflanzen handelt. Damit ist sie derzeit einer der grössten landwirtschaftlichen Schädlinge der Welt.
Was in Zürich passiert, ... bleibt in Zürich?
Der Chinagarten Zürich ist einer der renommiertesten chinesischen Gärten ausserhalb Chinas. Er war ein Geschenk der Stadt Kunming an die Stadt Zürich, nachdem die Schweiz technische Unterstützung beim Ausbau der Trinkwasserversorgung und der Entwässerung geleistet hatte. Doch 1998 initiierte die Renovierung des Gartens eine schlimme Schädlingsinvasion, denn die aus China gelieferten Kisten mit den traditionellen Ziegeln, die für die Restaurierung der Pagoden benötigt wurden, enthielten einen unerwünschten Anhalter: Halomorpha halys.

Irgendwo in dieser friedlichen Umgebung nahm das Unheil seinen Lauf. Bild: Adobe Stock
Die Marmorierte Baumwanze ist in Ostasien beheimatet, unter anderem in Regionen von China, Japan und Korea. Aufgrund der vielen Zierpflanzenarten asiatischer Herkunft fühlte sich die Wanze im Chinagarten wohl und gedieh. Leider wurde die erste etablierte Population, abgesehen von gelegentlichen Beobachtungen einzelner Wanzen in Wohngebieten in Zürich, erst neun Jahre später entdeckt, und zwar 8 km südlich des Chinagartens, in einem Privatgrundstück in Erlenbach im Kanton Zürich. Bis 2013 hatte sich die Marmorierte Baumwanze bereits in 11 Kantonen ausgebreitet. In Europa kommt H. halys heute von Armenien bis Spanien und von Finnland bis Südgriechenland vor und stellt eines der grössten aufkommenden Probleme in landwirtschaftlichen Gebieten und städtischen Gärten dar.
Nicht wählerisch sein zahlt sich aus
Marmorierte Baumwanzen können fast allen wichtigen in Europa angebauten Früchten sowie einigen Zier- und Wildpflanzenarten das Leben aussaugen. Birnen scheinen ein beliebter Leckerbissen zu sein, aber in Europa sind Marmorierte Baumwanzen dafür bekannt, dass sie eine breite Palette von Früchten (wie Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Äpfel, Himbeeren und Pfirsiche), Waldbäumen (wie Hasel und Esche) und verschiedenen Gemüsesorten (wie Tomaten, Auberginen, Paprika und Brokkoli) schädigen. Dieses sehr breite Spektrum an Wirtspflanzen in Verbindung mit der Mobilität der Wanze erklärt gut, warum es so schwierig ist, H. halys auszurotten: Selbst wenn man eine Bekämpfungsmassnahme auf einer Kultur anwendet, kann die erwachsene Population der Wanze auf eine andere Pflanzenart in der Nähe wechseln und die Katastrophe überleben.
Was ist der Schaden?
Der Speichel der Marmorierten Baumwanze enthält Enzyme, die Pflanzengewebe verflüssigen. Dies führt zu einer Verformung oder Zerstörung der Blätter, Früchte und Samen, die das Insekt durchsticht. Beim Fressen kann die Wanze auch Krankheitserreger wie Hefepilze auf die Pflanzen übertragen.
In Norditalien wurde der Marmorierten Baumwanze im Jahr 2019 ein finanzieller Schaden von 356 Millionen Euro an Pfirsich-, Birnen- und Nektarinenernten zugeschrieben. In der Schweiz wurden 2015 im Tessin erhebliche Schäden an Birnen und Pfirsichen gemeldet, und die Schadensmeldungen in den Jahren 2018 und 2019 bestätigten, dass die Marmorierte Baumwanze in vielen Regionen der Schweiz zu einer Bedrohung für Sonderkulturen geworden ist.

Marmorierte Baumwanze auf beschädigten Äpfeln im Obstgarten. Bild: Adobe Stock
Was ist die Lösung?
Ist die Marmorierte Baumwanze also unkontrollierbar? Die rasche Ausbreitung in ganz Europa und in den USA deutet darauf hin, dass dieser Schädling offensichtlich schwer zu kontrollieren ist. Und leider sind die Prognosen nicht sehr optimistisch, denn sie zeigen, dass eine aufgrund des Klimawandels wärmere Atmosphäre dazu führen wird, dass H. halys früher aus dem Winterschlaf erwachen und mehrere Generationen pro Jahr hervorbringen wird. Da es in der Schweiz noch kein zugelassenes Schädlingsbekämpfungsmittel gibt, besteht die wirksamste Massnahme darin, den Wanzen den Zugang zu den Kulturen zu verwehren, indem die Früchte in feine Netze eingepackt oder selbst kleinste Öffnungen in den Gewächshäusern abgedichtet werden.
Samurai eilen zur Rettung!
Aber das Spiel ist noch nicht verloren. Eine Lösung besteht darin, die Samurai die Drecksarbeit machen zu lassen. Nicht echte Samurai; die Samurai-Kaste in Japan wurde sowieso im 19. Jahrhundert abgeschafft. Hier geht es um die biologische Bekämpfung, d. h. um die Nutzung der natürlichen Feinde von H. halys zur Kontrolle ihrer Populationen und zur Begrenzung der Schäden. Die Samurai-Wespe (Trissolcus japonicus) ist eine asiatische Schlupfwespe (die auch unbeabsichtigt in die Schweiz eingeschleppt wurde), deren Weibchen ihre Eier in die Eier der Baumwanzen ablegen, welche absterben, bevor die Babywespen schlüpfen. Die Forschung über Parasitoide und andere natürliche Feinde (z. B. Krankheitserreger) von H. halys ist noch nicht abgeschlossen, aber die Ergebnisse sind zum Glück sehr vielversprechend.

Eine erwachsene Samurai-Wespe legt ihre Eier in einem Haufen von Eiern der marmorierten Baumwanze ab. Bild: Wikimedia Commons/Chris Hedstrom, Oregon State University, CC license
Nachbarschaftshilfe
Können wir etwas tun? JA! Wir können helfen, die Populationen von H. halys zu überwachen. Es ist belegt, dass Informationen über die geografische Verbreitung von Schädlingen, die im Rahmen von Citizen Science (s. Infobox unten) gesammelt werden, bei der Bekämpfung von Invasionen helfen können. Für die Marmorierte Baumwanze kann man auf der Internetplattform halyomorphahalys.com oder in den Smartphone-Apps iNaturalist und bugMap eingeben, wann und wo man H. halys zuletzt gesehen hat. Hätte es im Jahr 2000 schon Citizen Science Apps gegeben, könnten die Landwirte in Europa heute vielleicht viel besser schlafen.
Fun Fact: Es riecht nach Stress
Wie Stinkdachse geben auch Stinkwanzen unangenehme Gerüche ab, wenn sie sich bedroht fühlen. Der Geruch von H. halys enthält bestimmte Aldehyde, die an Koriander erinnern können.
Citizen Science
Gemäss der Arbeitsgruppe Schweizer Citizen-Science-Prinzipien bezeichnet Citizen Science “eine wissenschaftliche Methode, die es Citizen Scientists und hauptamtlich Forschenden ermöglicht, zusammenzuarbeiten und Wissen zu gewinnen”.
Als Citizen Scientists werden Personen bezeichnet, die nicht bei einer Forschungsinstitution angestellt sind und sich freiwillig an einem Forschungsprojekt beteiligen. Eine Übersicht über Citizen-Science-Projekte in der Schweiz und weitere Informationen finden Sie auf der Website Schweiz forscht.
*Glossar
Hemimetabol: Hemimetabole Insekten machen keine Metamorphose durch, wie wir sie von Schmetterlingen kennen. Sie durchlaufen mehrere Häutungen und entwickeln sich allmählich zu erwachsenen Tieren. Die juvenilen Stadien sehen wie Miniaturen des erwachsenen Tiers aus und werden Nymphen genannt.
Quellen
Oppliger M. 2018. Er mieft, frisst unser Obst und es gibt immer mehr davon: Der Stinkkäfer erobert Europa. Tageswoche. https://tageswoche.ch/wirtschaft/er-stinkt-frisst-unser-obst-und-es-gibt-immer-mehr-von-ihm-der-stinkkaefer-erobert-europa/ Stand 19.3.24
Haye T et al. 2015. Range expansion of the invasive brown marmorated stinkbug, Halyomorpha halys: an increasing threat to field, fruit and vegetable crops worldwide. J Pest Sci 88:665–673. https://doi.org/10.1007/s10340-015-0670-2
Wermelinger B et al. 2008. First records of an invasive bug in Europe: Halyomorpha halys Stål (Heteroptera: Pentatomidae), a new pest on woody ornamentals and fruit trees? Mitteilungen der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft 81:1-8. https://doi.org/10.5169/seals-402954
Cianferoni F et al. 2018. Review of the occurrence of Halyomorpha halys (Hemiptera: Heteroptera: Pentatomidae) in Italy, with an update of its European and World distribution. Biologia 73:599–607. https://doi.org/10.2478/s11756-018-0067-9
National Centre for Climate Services (NCCS) 2023. Invasive Insect Pests: The Brown Marmorated Stink Bug https://www.nccs.admin.ch/nccs/en/home/sectors/agriculture/impacts-pests/halyomorpha.html Stand 19.3.24
Agroscope. Überwachung und Bekämpfung https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/pflanzenschutz/neobiota/halyomorpha/halyomorpha-ueberwachung-bekaempfung.html Stand 19.3.24
Falagiarda M et al. 2023. Factors influencing short-term parasitoid establishment and efficacy for the biological control of Halyomorpha halys with the samurai wasp Trissolcus japonicus. Pest Management Science 79(7):2397-2414. https://doi.org/10.1002/ps.7423
Iacovone A et al. 2022. Augmentative biological control of Halyomorpha halys using the native European parasitoid Anastatus bifasciatus: Efficacy and ecological impact. Biological Control 172:104973. https://doi.org/10.1016/j.biocontrol.2022.104973