Ein unerwarteter Bestäuber – die Grosse Kerbameise
Ameisen sind nicht für ihre Bestäubungsdienste bekannt. Sie erweisen sie auch nicht unbedingt freiwillig. Aber manchmal sind sie unabdingbar.
Steckbrief
- Formica exsecta, die Grosse Kerbameise, ist in ganz Europa weit verbreitet.
- Sie gehört zur Familie der Formicidae, die über 12 000 Ameisenarten umfasst.
- Ihr schmaler Kopf und ihre langen Mandibeln ermöglichen es ihr, Beute zu fangen und zu tragen.
- Die Ameisen sind in der Regel dunkelbraun oder schwarz gefärbt, und die Arbeiterinnen sind zwischen 5 und 9 mm lang.
- Die Art ist für ihr aggressives Verhalten bekannt. Wenn sie gestört wird, schwärmt sie aus und kann heftig zubeissen, was für Vieh und Menschen eine Belastung sein kann.
- Sie kommt in einer Vielzahl von Lebensräumen vor, darunter Wälder, Wiesen und alpine Regionen.
- Formica exsecta wird derzeit auf der Roten Liste der IUCN als nicht gefährdet (Least Concern) geführt, obwohl bestimmte Populationen durch den Verlust und die Fragmentierung von Lebensräumen bedroht sein können.
Systematik
- Reich
- Tiere (Animalia)
- Stamm
- Gliederfüsser (Arthropoda)
- Klasse
- Insekten (Insecta)
- Ordnung
- Hautflügler (Hymenoptera)
- Familie
- Ameisen (Formicidae)
- Gattung
- Waldameisen (Formica)
- Art
- Große Kerbameise (F. exsecta)
Lebenszyklus
Die Grosse Kerbameise ist eine soziale Art mit einem komplexen Lebenszyklus, der mehrere unterschiedliche Phasen umfasst. Die Fortpflanzungsbiologie folgt ähnlichen Mustern wie bei anderen borealen* Ameisenarten.
In der Regel beginnt die Königin im späten Frühjahr nach dem Winterschlaf und der Paarung mit der Eiablage. Sie produziert zunächst eine Reihe von zukünftigen Königinnen und Männchen, bevor sie Eier legt, aus denen sich Arbeiterinnen entwickeln. Diese werden bis zum Herbst regelmässig produziert. Die Arbeiterinnen überwintern in der Regel nur einmal, manchmal ein zweites Mal. Sie übernehmen verschiedene Aufgaben innerhalb der Kolonie, darunter Futtersuche, Brutpflege und Verteidigung. Je nach Standort können die Kolonien monogyn (nur eine eierlegende Königin in der Kolonie) oder polygyn (viele eierlegende Königinnen in der Kolonie) sein, in der Regel durch die Adoption von Tochterköniginnen oder verwandten Königinnen. Königinnen können mehrere Jahre überleben.
Mineurinnen und Baumeisterinnen
Die Nester der Grossen Kerbameise befinden sich an den verschiedensten Orten, beispielsweise unter Steinen, im Boden und in verrottendem Holz. Die Art legt auch grosse Hügel aus Laubstreu über der Erde an, die einen Durchmesser von bis zu einem Meter haben können. Die Neststruktur besteht aus einer Reihe von Kammern und Tunneln. Sie werden von den Arbeiterinnen angelegt, die mit ihren Mandibeln und Körpern das Substrat aushöhlen. Die Nester können sehr umfangreich sein und mehrere Ebenen und Kammern aufweisen, die der Kolonie Schutz und Unterschlupf bieten. Das Material und die Form der Nester von Formica exsecta können variieren und von der Bodenart, der umgebenden Vegetation und der Sonneneinstrahlung abhängen. Typischerweise bestehen die Nester aus zerkleinerten Gräsern, Nadeln von Nadelbäumen, kleinen Blättern, Teilen von Moos und Kräutern oder Erde und Kieselsteinen.
Schon gewusst?
Die Grosse Kerbameise ist für ihre Fähigkeit bekannt, riesige Kolonie-Netzwerke zu bilden. Einige der grössten Systeme in Europa bestehen aus Tausenden von Nestern, die über mehrere Hektaren Land verteilt sind. Das grösste bekannte Nest-System von Formica exsecta wurde in Rumänien gefunden. Dieses Kolonie-Netzwerk besteht schätzungsweise aus 3 350 einzelnen Nestern, die sich über eine Fläche von etwa 22 Hektaren verteilen. Es wird angenommen, dass das Netz aus mehreren miteinander verbundenen Unterkolonien besteht, die zusammenarbeiten, um Ressourcen zu teilen und ihr Gebiet zu verteidigen. Das Kolonie-Netzwerk der Grossen Kerbameise ist ein faszinierendes Beispiel für das komplexe Sozialverhalten und die Organisation, die in Insektengesellschaften zu finden sind. Die Fähigkeit von Formica exsecta, solch ausgedehnte Kolonie-Netzwerke zu bilden, ist vermutlich ein Schlüsselfaktor für ihren Erfolg als Art, der es ihr ermöglicht, in einer Vielzahl von Lebensräumen und Umgebungen zu gedeihen. Es gibt nicht viele Studien bezüglich der Lebenserwartung solcher Nest-Systeme, aber in einer finnischen Population, die in den Schären von Tvärminne untersucht wurde, lebten die Kolonien maximal 30 Jahre und umfassten im Durchschnitt 2 300 Individuen.
Entscheidende Anziehung
Ameisen sind nicht für ihre Bestäubungsdienste bekannt. Aus der Sicht einer Pflanze sind sie im Gegenteil unerwünschte Besucher, da sie sich am Nektar bedienen, ohne Pollen zu übertragen, und durch ihr aggressives Verhalten echte Bestäuber fernhalten. Es war daher eine Überraschung, als Forschende vor einigen Jahren entdeckten, dass die Grosse Kerbameise in einer bestimmten Region der Dolomiten als wichtiger Bestäuber für die Grüne Hohlzunge (Dactylorhiza viridis) fungiert. Diese Orchidee ist grün und ziemlich unauffällig. Sie verfügt jedoch über eine einzigartige Bestäubungsstrategie, die auf Käfer und Ameisen angewiesen ist, um den Pollen zwischen den Blüten zu übertragen. Diese spezialisierte Bestäubungsstrategie ist für das Überleben der Grünen Hohlzunge entscheidend, da die Anatomie der Blüte eine Bestäubung durch den Wind oder andere Insekten nur eingeschränkt zulässt. Die Blüten der Grünen Hohlzunge sind in einer engen Spirale angeordnet, wobei die Staubbeutel* und die Narbe* dicht beieinander liegen. Nicht bestäubende Insekten können so schwer an die Blütenressourcen herankommen und sie stehlen.
In diesem Video sehen Sie eine Ameise, die unbeabsichtigt zahlreiche Pollenpakete (Pollinarien) einer Orchidee auf der Stirn mit sich herumträgt und so zur Bestäubung dieser Orchideenart beiträgt.
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Die Verbindung zwischen Formica exsecta und der Grünen Hohlzunge verdeutlicht die komplexen und oft komplizierten Beziehungen zwischen Insekten und Pflanzen sowie die wichtige Rolle, die Insekten bei der Bestäubung und Vermehrung vieler Pflanzenarten spielen. Die Grüne Hohlzunge ist eine wichtige Pflanze in den Ökosystemen, in denen sie vorkommt. Sie bietet Lebensraum und Nahrung für eine Vielzahl von Insekten, darunter Bienen und Schmetterlinge, und ist auch eine Indikatorart für gesundes Grasland und Wiesen.
*Glossar
Staubbeutel: Teil der Blüte, in dem der Pollen produziert wird.
Boreal: Wälder in grossen Höhenlagen oder in den nördlichen Teilen der Welt.
Narbe: Teil der Blüte, in dem der Pollen keimt.
Quellen
Claessens J. & Seifert B. 2017. Significant ant pollination in two orchid species in the Alps as adaptation to the climate of the alpine zone. Tuexenia. 37: 363-374.
Glaser F et al. 2010. Die Große Kerbameise Formica exsecta NYLANDER, 1846
(Hymenoptera, Formicidae). Verbreitung, Ökologie und Gefährdung des Insekts des Jahres 2011 in Österreich. Beiträge zur Entomofaunistik. 11: 107-119.
Martin SJ et al. 2009. Polygyny reduces rather than increases nestmate discrimination cue diversity in Formica exsecta ants. Insectes Sociaux. 56: 375-383.
Seifert B. 2007. Die Ameisen Mittel- und Nordeuropas. Lutra Verlags- und Vertriebsgesellschaft, Görlitz / Tauer, 367pp.
Pamilo, P., 1991. Life span of queens in the ant Formica exsecta. Insectes Sociaux, 38, pp.111-119.
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Sundström, L. and Vitikainen, E., 2022. The life history of Formica exsecta (Hymenoptera: Formicidae) from an ecological and evolutionary perspective. Myrmecological news, 32.
Wiezik, M., Gallay, I., Wieziková, A., Čiliak, M. and Dovciak, M., 2017. Spatial structure of traditional land organization allows long-term persistence of large Formica exsecta supercolony in actively managed agricultural landscape. Journal of insect conservation, 21, pp.257-266.
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