Das Tagpfauenauge – Mehr als ein Hingucker
Das Tagpfauenauge ist zwar ein seltener Gast in den Nachrichten, doch leistet es – wie viele andere Schmetterlinge auch – wichtige Bestäubungsdienste für Blüten, die von Bienen oft vernachlässigt werden.
Steckbrief
- Aglais io, das Tagpfauenauge, gehört zur Familie der Edelfalter (Nymphalidae).
- Das Tagpfauenauge ist im grössten Teil des europäischen Kontinents sowie im gemässigten Asien und sogar in Japan zu finden.
- Wälder, Wiesen, Gärten und Parks sind nur einige der Orte, an denen diese Schmetterlinge gesichtet werden können.
- Ihr Vorkommen wurde vom Flachland bis in Höhenlagen von über 2 500 Metern gemeldet.
- Dank dieser grossen Vielfalt an möglichen Lebensräumen ist das Tagpfauenauge derzeit nicht mit dem Rückgang konfrontiert, der bei anderen Insektenarten beispielsweise durch die Zerstörung und Fragmentierung natürlicher Lebensräume aufgrund der Intensivierung der Landnutzung zu verzeichnen ist.
Systematik
- Reich
- Tiere (Animalia)
- Stamm
- Gliederfüsser (Arthropoda)
- Klasse
- Insekten (Insecta)
- Ordnung
- Schmetterlinge (Lepidoptera)
- Familie
- Edelfalter (Nymphalidae)
- Gattung
- Aglais
- Art
- Tagpfauenauge (A. io)
Lebenszyklus
Je nach geografischem Standort kann das Tagpfauenauge eine (monovoltin) oder zwei (bivoltin) Generationen in einem einzigen Jahr durchlaufen. Während in der Vergangenheit in den nördlichen Teilen Europas der Lebenszyklus des Tagpfauenauges im Allgemeinen nur einmal im Jahr stattfand, gibt es jetzt eine zunehmende Anzahl von Ländern wie Deutschland oder Belgien, in denen eine zweite Spätsommergeneration beobachtet wurde1,2. Die Forschenden führen diese Veränderung im Lebenszyklus des Tagpfauenauges auf die Folgen des Klimawandels zurück.
Der monovoltine Jahreszyklus dieses Schmetterlings sieht wie folgt aus:
Die erwachsenen Falter paaren sich in der Regel kurz nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf und legen ihre Eier in Gruppen von 30 bis 80 Stück an die Unterseite von Blättern, meist von Brennnesseln (Urtica dioica) und manchmal von Hopfen (Humulus lupulus).
Nach ein bis drei Wochen schlüpfen die Eier, und die Raupen beginnen, sich von den Brennnesselpflanzen zu ernähren, wobei sie meist in Gemeinschaften leben. Frisch geschlüpfte Raupen sind nur 1.5 mm lang. Nach fünf Larvenstadien und etwa einem Monat sind sie auf eine Grösse von über 5 cm herangewachsen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Raupen bereit, sich zu verpuppen. Sie verteilen sich und suchen sich einen geschützten Ort (meist die Unterseite eines Blattes oder eines Strauches), um ihren Kokon zu spinnen. Die Puppen des Tagpfauenauges können je nach Standort eine gelbe bis dunkelgraue Farbe haben und sind in der Regel 2 bis 3 cm lang.
Die erwachsenen Schmetterlinge schlüpfen nach zwei bis vier Wochen aus ihren Kokons und verbringen den Rest der Saison damit, sich vom Nektar einer Vielzahl von Blumen zu ernähren und sich auf die Überwinterung vorzubereiten. Auf diese Weise wiederholt sich der Zyklus Jahr für Jahr.
Auf der Lauer
Die Männchen des Tagpfauenauges sind sehr territorial. Sie verbringen den Morgen oft mit Nektarfressen und den Rest des Tages auf einem hohen Aussichtspunkt wie einem Ast, von dem aus sie ihr Revier überblicken können. Sobald entdeckt, werden mögliche Konkurrenten verjagt, während potenzielle Partner in einer Art Fangenspiel verfolgt werden, das sich über Stunden hinziehen kann.
Wie man seine Feinde erschreckt
Eins der interessantesten Merkmale des Tagpfauenauges sind die verschiedenen Strategien, die es im Laufe der Evolution gegen Fressfeinde entwickelt hat.
Wenn sie nicht fliegen, schliessen die Schmetterlinge in der Regel ihre Flügel. Die Unterseite der Flügel ähnelt Baumrinde, was eine hervorragende Tarnung und einen starken Abwehrmechanismus durch Mimikry* bietet. Wenn ein Schmetterling sich bedroht fühlt, zum Beispiel durch einen sich schnell nähernden Sperling, öffnet er schnell seine Flügel und zeigt die bunten Augenflecken auf der Oberseite der Flügel. Dies hat sich als überraschend wirksame Massnahme erwiesen, um Vogelangriffe zu verhindern. Wissenschaftler:innen glauben, dass die Augenmuster den Augen natürlicher Feinde dieser Vögel stark ähneln, da ihr Anblick ein ähnliches Abwehrverhalten wie gegenüber Feinden auslöst.
Tagpfauenaugen überwintern normalerweise an dunklen Orten wie Baumhöhlen, Kellern oder Scheunen. Wenn sie an diesen Orten von kleinen Säugetieren wie Mäusen angegriffen werden, sind ihre visuellen Abwehrmechanismen aufgrund der geringen Sichtbarkeit unwirksam. Um Bedrohungen in solchen Umgebungen zu begegnen, hat das Tagpfauenauge einen bemerkenswerten Mechanismus entwickelt: Durch Reiben der Vorderflügel an den Hinterflügeln erzeugt der Schmetterling ein überraschend lautes Zischen (siehe Video unten).
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Dieser mehrstufige Verteidigungsmechanismus mit unterschiedlichen Merkmalen, die auf verschiedene Raubtiergruppen abzielen, wird als multimodale Verteidigung bezeichnet.
Schon gewusst?
Die Rolle der Schmetterlinge bei der Bestäubung bleibt oft unbeachtet, da sie in der Regel viel weniger effizient sind als Bienen oder Hummeln. Das liegt vor allem daran, dass sie keine speziellen Strukturen am Körper haben, um Pollen zu sammeln und zu transportieren. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat jedoch gezeigt, dass Schmetterlinge häufig die Arbeit von bekannteren Bestäubern wie Bienen oder Hummeln ergänzen. Sie besuchen Blüten, die letztere vernachlässigen, und zwar sowohl hinsichtlich verschiedener Pflanzenarten als auch verschiedener Blütenpositionen auf derselben Pflanze3.
Schmetterlinge sind in der Tat weniger wendige Flieger als beispielsweise Honigbienen und neigen daher dazu, vor allem Blüten an den äusseren Rändern einer Pflanze zu besuchen, während Bienen Blüten in der Mitte einer Pflanze bevorzugen. Dieses Phänomen, bei dem Blüten, die sich an verschiedenen Stellen einer Pflanze befinden, von verschiedenen Bestäuberarten besucht werden, wird als Komplementarität in der Bestäubung bezeichnet. In der oben erwähnten Studie wurde geschätzt, dass dieses Zusammenspiel zwischen den Bestäubern dafür sorgt, dass bis zu 50% mehr Blüten besucht werden. Die Rolle der Schmetterlinge für die Stabilität unserer natürlichen Ökosysteme ist daher von unschätzbarem Wert.
*Glossar
Mimikry: Ein weit verbreitetes Phänomen in der Natur. Bestimmte Tiere und Pflanzen haben sich darauf spezialisiert, visuelle, auditive oder olfaktorische Signale anderer Arten nachzuahmen und so eine "falsche Botschaft" zu senden. Der Nachahmer profitiert von der Täuschung des Signalempfängers.
Quellen
Ein Gewinner des Klimawandels. NABU 2008. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/insekten-und-spinnen/schmetterlinge/tagfalter/10425.html Accessed May 2023.
Herremans M et al. 2021. Abundant citizen science data reveal that the peacock butterfly Aglais io recently became bivoltine in Belgium. Insects, 12(8): 683. https://doi.org/10.3390/insects12080683
Cusser S et al. 2021. Unexpected functional complementarity from non-bee pollinators enhances cotton yield. Agriculture, ecosystems & environment, 314: 107415. https://doi.org/10.1016/j.agee.2021.107415