Osmia tergestensis: Der Gaudí der Bienen
Die Biene Osmia tergestensis baut mit Blütenblättern einige der elegantesten und reizvollsten Konstruktionen, die von Insekten geschaffen werden.
Steckbrief
- Osmia tergestensis, die Osmia von Triest, ist eine Solitärbiene, die zur Familie der Megachilidae gehört.
- Sie hat die Grösse eines Marienkäfers, ist glänzend schwarz und spärlich mit langen, graugelben Haaren bedeckt.
- Die Bienen sind in ganz Europa weit verbreitet.
- Sie faszinieren durch ihre kunstvoll gebauten Nester.
- Die Gattung Osmia ist ein wichtiger Pflanzenbestäuber: In ihrer Anwesenheit erreichen Kirschen die optimale Qualität früher, Erdbeeren werden grösser und Apfelbäume erzielen höhere Erträge.
Systematik
- Reich
- Tiere (Animalia)
- Stamm
- Gliederfüsser (Arthropoda)
- Klasse
- Insekten (Insecta)
- Ordnung
- Hautflügler (Hymenoptera)
- Familie
- Bauchsammlerbienen (Megachilidae)
- Gattung
- Osmia
- Art
- O. tergestensis
Nutzen Bienen Blumen nur als Nahrungsquelle? Nein, natürlich nicht. Männliche Orchideenbienen im tropischen Amerika sammeln duftende Öle von Blumen, um Partner anzulocken; männliche Holzbienen nutzen Blumen oft als Übernachtungsquartier; die Weibchen mehrerer Arten von Blattschneiderbienen verwenden Blütenblätter, um Brutzellen zu bauen, d. h. Nester, in die sie ihre Eier legen, und kreieren dabei winzige bunte Kunstwerke.
Begegnung in Triest
Im Sommer 1896 in Triest entdeckte der 21-jährige Adolpho Ducke, ein italienischer Naturforscher deutscher Abstammung, der später ein führender Verfechter des Schutzes des Amazonas-Regenwalds in Brasilien werden sollte, eine neue Art der Blattschneiderbiene Osmia, die er Osmia tergestensis (Osmia von Triest) nannte. Diese Biene, die nicht grösser als ein Marienkäfer ist, ist glänzend schwarz und spärlich mit langen graugelben Haaren bedeckt, die einen leuchtenden Eindruck vermitteln.
Die Baustars unter den Solitärbienen
Diese brillante kleine Architektin hat ihren Ruf aufgrund ihres besonderen Nistverhaltens erlangt. Solitärbienen kümmern sich um ihren Nachwuchs, indem sie dafür sorgen, dass ihre Kleinen (die Larven) nach dem Schlüpfen genügend Nahrung finden, um sich bis zur Verpuppung zu ernähren. Zu diesem Zweck bauen sie Brutzellen in verschiedenen Arten von Hohlräumen (z. B. in Spalten, altem Holz, im Boden usw.), in die sie ein kostbares Ei legen, daneben etwas Nahrung für die Larve bereitstellen und die Öffnung – meist mit Lehm – verschliessen. Blattschneiderbienen sind unter den Solitärbienen eine Ausnahme, denn sie verwenden frische Blätter für den Bau der Brutzellenwände; zu diesem Zweck haben sie spezielle Schneideklingen an ihren Kiefern entwickelt, die das Schneiden von Blättern zu einer leichten Aufgabe machen. Eine Gruppe von Arten unter den Blattschneidern hat sich jedoch auf die Verwendung von Blütenblättern anstelle von Blättern spezialisiert, was zu einigen der elegantesten und reizvollsten Konstruktionen führt, die von Insekten geschaffen werden.
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Künstlerinnen bei der Arbeit
Wie baut man eine Brutzelle aus Blütenblättern? Erstens braucht man einen bereits vorhandenen Hohlraum; O. tergestensis bevorzugt oft Felsspalten und Risse. Zweitens braucht man 50–60 Blütenblätter von Pflanzen wie Geranie, Zistrose, Habichtskraut, Flachs oder Hauhechel. Drittens braucht man Lehm und kleine Kieselsteine. Zunächst bedeckt man die natürliche Wand des Hohlraums mit einer ersten Schicht von Blütenblättern, so dass sich die einzelnen Blütenblätter teilweise mit den benachbarten Blättern überlappen. Diese Schicht überzieht man mit Lehm und Kieselsteinen, und bevor diese Mischung trocknet, bedeckt man sie mit einer weiteren Schicht von Blütenblättern. Nachdem das Ei in die Kammer gelegt und die notwendigen Nahrungsvorräte (Nektar und Pollen) hinzugefügt wurden, verschliesst man die Öffnung mit einem Stopfen aus feuchter Erde. Schliesslich tarnt man das Nest mit weiteren Blütenblättern und anderen Materialien aus der Umgebung.
Auf Rosen gebettet
Diese zwischen Blütenblättern und Lehm eingebettete Brutzelle ist nicht nur eine Augenweide, sondern auch ein ausgeklügeltes technisches Konstrukt, das es den Babybienen ermöglicht, bis zum Erwachsenenalter zu überleben. Obwohl die Ökologie und Evolution dieses Verhaltens bisher noch nicht ausreichend untersucht wurden, kann man Hypothesen über die Vorteile der Verwendung von Blütenblättern für den Bau von Brutzellen aufstellen. Da Blütenblätter hervorragende wasserabweisende Eigenschaften haben, können sie die Eier und Larven vor Überschwemmungen schützen, aber auch die gewünschte Luftfeuchtigkeit in der Brutzelle aufrechterhalten. Ausserdem kann die Brutzelle dank der mehreren Schichten schwimmen, falls sie vom Wasser weggetragen wird. Des Weiteren sind die schlanken Blütenblätter leichter zu handhaben als Blätter, was das Leben der Bienenmutter etwas weniger beschwerlich macht: Blütenblätter lassen sich leichter schneiden, tragen, falten, anordnen und zusammenkleben. Bienenforschende glauben, dass ein weiterer möglicher Vorteil auf den Duft der Blütenblätter zurückzuführen ist, der oft aus mehreren Verbindungen mit antiseptischen Eigenschaften zusammengesetzt ist, die einen zusätzlichen Schutz für die Larven bieten.
Schon gewusst?
Obwohl die Osmia von Triest zuerst in Nordostitalien entdeckt wurde, ist sie geografisch weit verbreitet und gilt zumindest in Europa als wenig gefährdet. Diese kleinen Handwerkerinnen sind im grössten Teil des Mittelmeerraums, in Mitteleuropa bis nach Südpolen und in die Südukraine und im Osten bis nach Kasachstan zu finden. Zu diesem Verbreitungsgebiet gehört auch die Schweiz: In den Kalksteinfelsen der Schweizer Voralpen in den Kantonen Wallis und Tessin wurden in einer Höhe zwischen 1 000 und 2 000 m mehrere kleine Meisterwerk-Brutzellen entdeckt. Wenn Sie also Ende Juli (nachdem die neuen Bienen geschlüpft sind!) in der Gegend von Zeneggen (VS) wandern, sollten Sie einen Blick in die Felshöhlen werfen; vielleicht haben Sie das Glück, ein kleines blumiges Souvenir zu finden, das von einer Blattschneiderbiene (oder sollte man sagen Blütenblattschneiderbiene) kunstvoll gefertigt wurde.
Quellen
Amiet F et al. 2004. Apidae 4: Anthidium, Chelostoma, Coelioxys, Dioxys, Heriades, Lithurgus, Megachile, Osmia, Stelis. Fauna Helvetica, 9: 1–274.
Ducke A. 1897. Aufzählung der bei Triest im Jahre 1896 von mir gesammelten Osmia-Arten und Beschreibung einer neuen Art. Entomologische Nachrichten, 23:38-43. https://digitalcommons.usu.edu/bee_lab_da/388/
Müller A. 2020. Palearctic Osmia bees of the subgenera Hemiosmia, Tergosmia and Erythrosmia (Megachilidae, Osmiini): biology, taxonomy and key to species. Zootaxa, 4778: 201-236. https://doi.org/10.11646/zootaxa.4778.2.1
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Rozen JG et al. 2010. Nests, petal usage, floral preferences, and immatures of Osmia (Ozbekosmia) avosetta (Megachilidae: Megachilinae: Osmiini), including biological comparisons with other Osmiine bees. American Museum Novitates, 2010:1-22, 22. http://dx.doi.org/10.1206/701.1